Von draußen klopft der Regen unablässig an die Fenster. Ich überhöre ihn, und natürlich lasse ich ihn nicht herein. Ich habe es gern trocken, und ich habe noch zu tun.
Mit meiner Geschäftigkeit bin ich allein auf weiter Flur. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.
In allen benachbarten Büroräumen ist bereits ein gewisser Herr Feierabend eingezogen.
Er hat die Gänge von Menschen befreit, sämtliche Lichter gelöscht und die Rechner herunter gefahren. Aus den Kaffeemaschinen tropft kein braunes Wasser mehr und die Toiletten dürfen den Unrat des Tages verdauen.
Nur mein Büro leuchtet noch wie eine kleine Boje in einem Meer aus Dunkelheit.
Zu gut kenne ich dieses Gefühl der leeren Etagen unter meinen Füßen und über meinem Scheitel.
Erst am Sonntag strahlten ich und meine Schreibtischlampe hier einsam mit der Herbstsonne um die Wette.
Doch ich muss mich konzentrieren.
Es gilt noch diese eine Aufgabe abzuarbeiten, die keinen Aufschub duldet. Und in dem Fall kommt meine Arbeit sogar uns allen zugute.
Mir und meinen Kolleginnen und Kollegen um genau zu sein. Ich suche nämlich nach Unterstützung.
So hat es der Chef angeordnet.
Genau gesagt: Unser Team muss durch neues Humanmaterial aufgestockt werden.
Noch genauer gesagt: Nachdem zum dritten Mal eine Mitarbeiterin innerhalb eines Jahres gekündigt hat, suchen wir händeringend nach Ersatz. Fast könnte man meinen, der Burnout sei ein Meister aus Deutschland. Oder zumindest scheint er als ansteckender Gevatter durch die Lande zu ziehen.
Anders kann ich es mir nicht erklären, denn unter der alltäglichen Last des Zu-Tun-Was-Einem-Gesagt-Wird brachen bisher alle Neuzugänge wie Kartenhäuser zusammen.
Vielleicht sind es die optimierte Selbstwahrnehmung, der neumoderne Drang nach beruflicher Entfaltung und der in sich widersprüchliche Wunsch nach Spaß am Arbeitsplatz, welche die jungen Dinger immer wieder erst in das Tal der Tränen, dann zum Arzt und schließlich zur Jobaufgabe treiben.
Ehrlich gesagt: Auch meine Motivation pendelt momentan zwischen lustlos und sinnlos hin und her. Wie ein Sisyphos fühle ich mich, während ich ein vor Frische und Perspektiven sprühendes Stellenangebot verfasse. Wohl wissend, dass die vierte Kündigung so sicher auf uns zukommt wie ein wärmeres Klima.
Doch ich füge mich dem Unvermeidlichen und leihe mir aus dem Reich der Lügen ein paar neue Worte für einen alten, ungeliebten Job.
Sie suchen Sicherheit, Karriere und eine spannende Zukunft?
Gute Nachrichten, denn wir suchen nämlich Sie!
Unterstützen Sie unser Team und übernehmen Sie wichtige Aufgaben in einem prosperierenden Unternehmen.
Wir wünschen uns von Ihnen:
Eine abgeschlossene Ausbildung im Fach oder in einem fachverwandten Gebiet.
Praktische Erfahrungen im Arbeitsbereich sind von Vorteil, doch nicht zwingend.
Sehr gute Kenntnisse des MS Office Pakets sind unabdingbar. In weitere, in unserem Unternehmen gängige IT-Anwendungen werden Sie natürlich eingeführt.
Ein selbstsicheres, freundliches und gepflegtes Auftreten sowie eigenverantwortliches und strukturiertes Arbeiten setzen wir voraus.
Wir bieten Ihnen:
Nach einer kompetenten und ausführlichen Einarbeitung in Ihre Aufgaben erhalten Sie die
die Möglichkeit, sich konzeptionell und strukturell in unserem Unternehmen einzubringen.
Es erwartet Sie eine freundliches Team und eine herzliche Büroatmosphäre.
Ihr modern ausgestatteter Arbeitsplatz liegt im Herzen der Stadt mit idealer Anbindung das öffentliche Verkehrsnetz. Parkplätze sind fußläufig ausreichend vorhanden.
Die Stelle wird in Vollzeit angeboten. Überstunden oder Wochenendarbeit werden nicht von Ihnen erwartet. Die Möglichkeit zur Arbeit in Teilzeit oder im Homeoffice ist u.U. gegeben.
Die Vergütung erfolgt in Anlehnung an TVÖD und kann ggf. im Laufe der Anstellung erhöht werden.
Haben wir Ihr Interesse geweckt? Dann senden Sie uns noch heute Ihre Bewerbungsunterlagen auf elektronischem oder postalischem Wege zu.
Wir freuen uns auf Sie!
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Das Wetter passt zu meiner Stimmung. Es ist schlecht.
Erstaunlicherweise haben sich mittlerweile Jogginghose und Gesichtsteint der Wolkenfarbe angepasst. Und da es bereits seit Tagen so grau und grauslich ist, habe ich es mir, den Umständen entsprechend, gemütlich gemacht.
Ich habe auf dem Mount Everest über Kälte und Schnee triumphiert und mit dem Sherpa buttrigen Tee getrunken. Die unglaubliche Farbpalette der karibischen Natur hat mich in ihren Bann geschlagen. Mit Jack the Ripper habe ich den Londoner Nebel und die Angst einer Stadt eingeatmet. Und mit erstaunlich sauberen Germanen habe ich gegen eine nagelbesohlte römische Übermacht gekämpft.
All das auf meinem Sofa. Zwischen Lasagne, Chips, heißem Tee und warmen Decken hat mir Netflix, diese abonnierte Nabelschnur, Bilder und Geschichten eingeflößt.
Sie lassen mich mein Dasein vergessen.
Nur die Küche machen sie nicht sauber. Sie bringen auch nicht den Müll runter und waschen mir nicht die Haare. Am schlimmsten ist die Erkenntnis, dass sie auch nicht meine Post bearbeiten.
Dieser Brief vom Arbeitsamt, der so grau ist wie der Himmel, erinnert mich an meine Pflichten.
Er sagt, dass ich Bewerbungen verfassen muss, wenn ich meine Bezüge nicht einbüßen will.
Und wovon sollte ich dann meine dürftige Gemütlichkeit bezahlen?
Ich habe karge Gipfel erklommen und stand an Arminius´ Seite, aber mich dem Arbeitsmarkt zum Fraß vorzuwerfen, ist wohl meine gefährlichste Tat. Aber es hilft nichts. Seit meinem unfreiwilligen Ausscheiden aus der letzten Anstellung begleitet mich diese bedrückende Wahrheit wie ein loyaler, aber hässlicher Freund.
Immerhin kann ich in meiner angestammten Liegeposition verbleiben, während ich mich durch die Stellenangebote scrolle. Ich frage mich, ob die Laptopwärme, die dabei pausenlos auf den Unterleib strahlt, eigentlich gesund oder in irgendeiner Form förderlich ist.
Doch ich muss mich jetzt konzentrieren, sonst frisst diese Pflicht noch den Tag.
Nach kurzem Stöbern stoße ich bereits auf eine Ausschreibung, die laut Agentur für Arbeit wie für mich gemacht ist.
Also lasse ich mich von alten Bewerbungsunterlagen und meinem Talent für die Unwahrheit inspirieren und tippe ein paar Zeilen in das summende Gerät, das auf meinem Geschlecht thront.
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit großem Interesse habe ich Ihre Stellenausschreibung gelesen, welche mich außerordentlich anspricht. Daher erlaube ich mir, mich Ihnen näher vorzustellen.
Seit meinem erfolgreichen Studienabschluss im gewünschten Fach ist es mir nicht nur gelungen umfangreiche praktische Erfahrungen in besagtem Gebiet zu erwerben, sondern diese sogar auszubauen.
Ich bin versiert im Umgang mit dem MS Office Paket und sämtlichen internetbasierten Tools. Auch für neue IT-Anwendungen bin ich offen, da Flexibilität und der Wunsch nach stetiger Weiterentwicklung für mich selbstverständlich sind.
In meinen bisherigen Arbeitsverhältnissen konnte ich die mir anvertrauten Aufgaben stets mit Tatkraft, Genauigkeit und Eloquenz zur vollsten Zufriedenheit umsetzen.
Gern möchte ich diese Fertigkeiten, ebenso wie mein natürliches Talent im Umgang mit Kunden und Mitarbeitern in Ihrer Firma einbringen.
Die Ausgestaltung meiner zukünftigen Aufgaben und Chancen bespreche ich gern bei einem persönlichen Kennenlernen im kreativen Zentrum Ihres Unternehmens.
Ich freue mich auf Sie!
Das hätte gern noch ein paar Seiten so weitergehen können, die Verlogenheit und wie hier jeder - egal, wieviel auf dem Konto ist - irgendwie den Bodensatz der Gesellschaft verkörpert, ist bei all den Lügen irgendwie doch zu einem ziemlich ehrlichen Text geworden. Starke Bildsprache auch, die nicht erschlägt, aber den Inhalt ausreichend vergoldet.