Dieser Raum ist eng, dicht und grell. Gelb sind die Wände und die Wände reflektieren das beißend-grelle Neon-Licht. So sehr, Herr Roth hält Augen halb geschlossen, muss sie halb öffnen. Zweiundzwanzig Augenpaare schauen ihn an. Und Herr Roth, der spricht und spricht, als würde er etwas sagen, aber er fühlt sich, als sage er nichts. Seine Worte sprudeln aus ihm heraus und es fühlt sich an, ganz stark, als würde er mit den Worten dahinfließen und seine Worte mit ihm, aber seine Worte sind zusammenhangslos, fließen nicht, er fließt nicht, er spricht sie nur, um etwas zu sagen, sich zu spüren in dem Moment und dann stoppt er. Ja, so laut schreit es in seinem Kopf, es brüllt und echot und hallt: Ich bin kein guter Lehrer. Mit aller Heftigkeit. Seine Worte. Da schauen ihn zweiundzwanzig Augenpaare an, die dicht an dicht in Reihen nebeneinandersitzen, in diesem Raum, so eng, dicht und grell. Und er stockt, in ihm stockt sich diese Einsicht, mit all ihrer Heftigkeit und er möchte sich setzten, ist so erschöpft. So sehr. Es ist Samstag und dann Sonntag und er hofft darauf, dass er für Montag den Mut und die Stärke aufbringen wird, dass er standhaft ist, aber er liegt nur da, am Samstag, am Sonntag. Liegt nur in seinem Bett, verweilt da und hofft auf die Kraft und Stärke und Standhaftigkeit. Er liegt. Die Decke, die Wände hier sind weiß. Und am Montag ist der Raum eng, dicht und grell. Am Dienstag, am Mittwoch. Halb offen hält Herr Roth seine Augen dann, und er spricht und spricht. Aber da kommt nichts raus. Da bleibt nichts in dem Raum. Nur er, der spricht und zweiundzwanzig Augen. Und seine Worte fließen aus ihm, aber er bleibt diese Herr-Roth-förmige-Materie, dieses Ding, das sich in dem Raum wiederfindet, fast immer, das da spricht und stockt und stockt und stockt. Das den Raum einnimmt, das größer wird, in dem Raum, das alle darin erdrückt. Die Augen, sie schauen auf Herrn Roth, sie schauen weg. Die Münder, sie sprechen. Da werden Gegenstände durch den Raum geworfen, die aufschlagen, wie Bomben. Das Lachen, das Herr Roths Reden bricht und hallt und echot und brüllt und Herr Roth, der sinkt in sich zusammen, wird kleiner, immer kleiner. Gebückt läuft er, kriecht, liegt. Es ist Samstag, Sonntag. Er hofft auf die Standhaftigkeit, auf die Stärke. Es ist Montag, Dienstag. Noch einer.
Es ist Donnerstag. Herr Roth geht nicht nach Hause. Er bleibt. Setzt sich auf den Stuhl hinter dem Tisch, den man als Lehrertisch wahrnimmt und bleibt da sitzen. Vier Uhr, fünf Uhr. Ganz ruhig ist der Raum. Ganz ruhig ist Herr Roth. Er atmet. Er spürt sich atmen, seine Brust, dann seine Arme, seine Zehen. Dort wo er aufhört. Zeichnet zwei Stunden lang gedanklich die Linien nach. Er ist. Dann hier. Es ist das erste Mal, dass Herr Roth den Raum so richtig betrachtet. Das Winterlicht fällt schwach und golden in den Raum, wirbelt die Staubkörner. Herr Roth sieht die Bilder, die an der Wand kleben. Plakaten von Städten, der Steinzeit. Es ist als hätte man versucht, den Raum zu füllen, mit Leben, den Gedanken, dass es etwas außerhalb des Raumes gibt, aber, das dachte Herr Roth. Hier ist kein schöner Ort. Herr Roth verlässt den Raum und wandert durch die Schule. Treppen, die Aula und die Klassenzimmer, aufgereiht. Und die Idee des Ortes. Dieses unsäglichen Ortes, der permanent den Versuch der Strukturierung anstellt, der Hoffnungsort, der brüllende. All die Differenzlinien, die hier einschlagen, die dort aufeinander einschlagen und dann gebrochen werden. Herr Roth läuft auf den Pausenhof. Bleibt da, schaut der Sonne beim Untergehen zu. Winkt ihr. Legt sich auf den Boden. Er liegt da. Wendet sich zur Seite, zur anderen. Steht bald auf. Es ist dunkel. Er steht. Er fühlt sich, als konzentriere sich die ganze Macht dieses Ortes auf ihn, als laste sie auf ihm. So gewaltig, so heftig, so erdrückend. Auf seinen Schultern. Lange steht er da und denkt darüber nach. Er denkt darüber nach, ob er das aushalten kann. Ob er das wirklich und standhaft aushalten kann. Er wird wütend, weil er sich selbst keine Antwort geben kann. Schlägt sich an die Stirn. Einmal hat ein Schüler gefragt, woher er die Beule hat. Er wird wütend, weil er sich schlägt. Er hält sich nicht aus. Er schafft es nicht, fängt an, zu weinen. Setzt sich. Steht auf. Setzt sich. Steht auf. Da ist eine Tür in seiner Nähe und die greift er. Er geht die Treppe hinter der Tür herunter und findet sich in der Werkstatt. Leer ist es hier. Er war noch nicht hier. Es sieht aus, als war hier lange niemand mehr. Die Bohrer, die an den Tischen befestigt sind, sind verrostet. Die Tafel weiß vor Schimmel, die Handtücher, ein paar Tonfiguren in der Ecke. Herr Roth nimmt sich einen Stuhl. Setzt sich, lehnt sich gegen die Wand. Kommen hier die schlechten Lehrer hin? Sitzen sie hier und warten? Ich kann das nicht mehr so. Ich will das nicht mehr so. Es sind klare Gedanken, die Herr Roth da hat. Er begreift sie, aber dann weiß er nicht, was er machen soll.
Vor ihm bedecken Sägespäne den Tisch und Herr Roth fängt an, sie wegzuwischen. Er wischt alle Tische. Wischt den Boden. Wischt alles, was gewischt werden muss. Der Raum glänzt jetzt, ist sauber. Unordentlich. Herr Roth rückt Tische, Regale. Er montierte die rostigen Bohrer, die rostigen Nägel, die Werkzeuge, die lange niemand mehr berührt hat. Die noch brauchbar sind, legt er zur Seite und die Tafel, die montiert er ab. Der Raum leert sich und Herr Roth füllt ihn. Da sind Tücher in einer Kiste, in der linken hinteren Ecke des Raumes, die näht er zusammen. Der blaue, der gelbe, der grüne, der orange Stoff. Ein Zelt spannt Herr Roth an der Decke aus all den Farben, und er hämmert neue Stühle, neue Tische zusammen oder repariert die alten und stellt sie auf. Es ist morgens, da ist der Hausmeister in der Tür und der steht da nur und schaut, da ist sein Kollege, da ist die erste Lehrerin, der erste Lehrer, die nächsten und die Kinder. Und die schauen, die schauen, was aus dem Raum geworden ist über Nacht und stehen dann da und schauen. Und es ist Shire, der ist der erste, der sich an einen Tisch setzt und dann Mandy. Mandy und Shire, die nehmen das Werkzeug, hantieren damit. Und Herr Roth der hilft ihnen dabei, wie geht man mit einer Säge um, wie mit einem Schraubenzieher. Dann setzt sich die Klasse 6a. Die 6a bleibt da sitzen und probiert sich aus und nach der Stunde die 8c und nach der Pause die 10d bis zum Ende des Tages und das tagelang. Und Herr Roth, der unterrichtet. Für eine Weile noch. Seine Berufsjahre. Er braucht nicht viel zu sagen. Alle, die in seine Werkstatt kommen, finden etwas, was sie tun können. Alle finden etwas, worin sie sich ausprobieren können. Finden etwas, woran sie wachsen und worin sie gut werden können. Und Herr Roth, der probiert sich aus. Der hilft. Der läuft durch die Klasse, der unterrichtet und lehrt und hilft und hält die Augen geöffnet und sie glitzern, sie strahlen. Er lacht manchmal, ganz laut, ganz innig. Manchmal fragt er die Schüler, was er an dem Raum verbessern kann. Dieser Raum, er hat ihn zu seinem und von seinem zu einem für andere gemacht. Viel später installiert er Fenster und das Licht lässt den Raum strahlen wie sein Lächeln und seine freundlichen Augen. Was man in diesem Raum so finden kann.
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