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Handgepäck voll fernem Ziehen

VON EMINA SERDAREVIC //


Ich will weg, weg, weit weg von hier, einfach irgendwohin und bleibe, wo ich bin. Und in meiner Brust spür‘ ich das Ziehen nach dem Irgendwohin-Ziehen, dem Weithin-Verreisen, weil das alles grad‘ so ist am Zerreißen. Während Venedig unter Touristenmassen untergeht, die Sonne in Rostow-Weliky ohne Tourist vergeht, uns die eine Schönheit vollkommen entgeht und ein Gletscher ungesehen zergeht. Versperren uns in den Alpen wärmerestistente Planen den Anblick auf einst ganzjährig vereiste Bergspitzen, verschleiern uns in Sarajevo smogverhangene Himmel den Blick auf hochhinauf ragende Hochhausspitzen. Macht‘s wirklich so ‘nen Unterschied, ob ich mit dem Zug fahr‘ oder flieg‘, ob‘s mich hierhin oder dorthin verschlägt, als ob die Welt sich grad‘ so dermaßen verschiebt. Was bringt‘s mir am Strand einer griechischen Insel zu sitzen, während wenige Inseln weiter Menschen in Hoffnung auf Hilfe in Asche aus heruntergebrannten Zelten und zerfallenen Träumen aussitzen? Wenn ich in ferne Länder reise, um in einem Wohlstandsviertel Luxus zu genießen, während wenige Viertel weiter, Menschen Armutstränen vergießen? Und so bedenk‘ ich meine Pläne, meine Vorhaben, mein Ziehen in die Ferne und denk‘ an den orthodoxen Einsiedler aus der irgendwann-gesehenen Doku über die Höhen Nordmakedoniens und wie er auf uns hinabblickt und sagt, wie viel einsamer wir hier unten gemeinsam sind, als er in seiner Höh‘ und keine Ferne, keine Fremde, keine Menschenmassen voller unbekannter Gesichter nehmen uns das Gepäck des Suchenden und vielleicht reise ich, um anzukommen, ohne genau das je zu bekommen und die Tasche auf’s Neue pack‘. Ich will weit weg, ich will nirgendwohin.

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