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MITTWOCH

MORGEN

BLUES

von Benjamin Horrig


Ich setze mich auf. Es ist nachts. Meine Lider hängen tiefer als die Wolken vor dem Fenster, aber Regen lässt sich nicht blicken. Der ist sich zu fein. Stattdessen Wind und Blätter und ungeputzte Scheiben. Häuserfassaden ohne Geheimnis dahinter. Die große Farce einer neuen Stadt. 

„Alles in Ordnung?“

Sie ist aufgewacht und schaltet die Nachttischlampe ein. Ihre Augen stechen durch das Halbdunkel.

Herbstbraun im Halbdunkel. Nachttischlampenlicht gegen ihr glattes Haar. 

„Muss nur was trinken.“

„Sicher?“

„Klar. Schlaf weiter.“

Sie zögert, aber um halb fünf hält kein Zögern lange an. 

Vorsichtig krieche ich aus dem Bett, um sie nicht nochmal zu wecken. 

Im Mund der Geschmack von Zigaretten. Aschenbechereffekt. 

Kurz darauf dann Badezimmer und Wasser im Gesicht. 

Durch das Kippfenster nahe der Decke dringt ein Schwall Februarluft, und zum fernen Klang einer Sirene rede ich mir ein, dass dies das große Leben ist. Meinem gar nicht so lebendigen Spiegelbild halte ich aber nicht lange stand. Deswegen Flur.

Dort die Reste von dreißig Tagen und mittlerweile im Dispo, weil Monatsmieten. Ich weiche leeren Flaschen und dem ganzen anderen Kram aus. Schlendere an Kartons vorbei ins Wohnzimmer, wo ein paar Schlafsäcke herumliegen. Mit Leuten drin,

die ich nicht kenne. 

Einer schnarcht, einer ist wach und tippt auf sein Handy. 

Er nickt mir zu. Ich nicke zurück. 

Das ist schon in Ordnung. 

Es geht schließlich um das Gefühl, auch wenn das gerade ein bisschen beschissen ist. 

Wahrscheinlich nur der Anflug vom Kater. Wodka habe ich noch nie gut vertragen. 

Außerdem wollte ich es doch wissen. 

Gehe weiter in die Küche und setze mich an den Tisch zu einer Schachtel Zigaretten, die auf einem Teller liegt.

„Guten Morgen“, sage ich und stecke mir eine an. 

Dabei spüre ich so ein Kribbeln. Weiß nicht, wohin damit. 

Meine Augen gewöhnen sich nicht an das Schummerlicht. Und das Surren der Deckenlampe ist ein leises Schlagen unbekannter Flügel. 

Ich denke angestrengt darüber nach, wann ich das letzte Mal nüchtern war. 

Richtig nüchtern, nicht bloß weniger betrunken. In den letzten Wochen habe ich mich von jeder Welle tragen lassen und jede Nacht eine Menge Herzen gefunden, die höher schlugen als mein eigenes. Eine Menge Augenblicke zweifelhafter Schönheit verlebt, wenn ich anstieß auf das Beste der Nacht und nicht wusste, mit wem ich dabei tanzte. 

Alles ein endloser Tumult. Und trotzdem war ich immer mittendrin.  

Jetzt klingen wieder Sirenen und sie schreien den Ruf der Wildnis: Weiter! Weiter! Nicht hinlegen, nicht ausruhen!

Das ist deine Stadt, dein Leben, mach was draus! 

Aber die Zigarette in der Nacht schmeckt wie plumpe Realität. 

Was mache ich hier eigentlich? 

Ich asche auf den Teller. 

„Hey.“

Der Handytyp lehnt am Türrahmen. 

„Morgen“, sage ich etwas genervt. 

„Bist du immer so früh wach?“

„Ne, nur heute.“

„Ich wollte mich mal bedanken, dass wir hier pennen dürfen.“

„Kein Ding.“

Er nickt wieder und verschwindet.

Mir wird klar, wie exemplarisch das war. 

Auf dem Tisch sehe ich einen vollgeschriebenen Zettel und lese angestrengt: 

 

Is it fate or just a couple of days?

 

Ansonsten durchgestrichene Wörter und ausradierte Zeilen. 

Ist nicht leicht, da noch was zu erkennen. 

Aber weil es gerade so gut passt, schreibe ich dazu: 

 

Is it faith or just my disbelief?

 

Und so entstehen wahrscheinlich die meisten Songs. Zufällig nach Kettenbriefprinzip. 

Ausgerechnet jetzt erinnere ich zufällig ein Gespräch, das erst ein paar Tage alt ist. Mit einer Studentin und einem Beutel voller Ideen, den wir uns zuschoben. Orte, die man in dieser und jener Stadt gesehen haben muss. Filme, nach denen das Leben nicht mehr dasselbe ist und die Versatzstücke der Beatliteratur, die doch jeder irgendwoher kennt.

Ein Gespräch über Musik und die Tentakel von Delphi. Das war wirklich schön.

„Endlich eine, die das ganze Zeug auch interessiert“, habe ich gesagt.

Und sie hat geantwortet: „Es ist spannend und schade, wenn man es verpasst.“

Kurz frage ich mich, was sie gerade wohl macht, aber dann muss ich etwas unternehmen,

denn die Übelkeit brodelt mir auf einmal bis in den Mund. 

Springe auf und hänge mich übers Waschbecken. 

Galgenmännchen. 

Scheiße.

Sich in der eigenen Wohnung zu übergeben ist das studentische Pendant zum Nein auf der eigenen Hochzeit.

Nur viel schlimmer. 

Der Geschmack von Gestern sitzt mir lauernd im Hals. 

Ich huste, kriege es aber irgendwie nochmal hin. Rutsche an die Spüle gelehnt zu Boden und lege den Kopf in den Nacken. 

Also doch kein Nein. Nur tief durchatmen. Dabei würde ich jetzt gerne nein sagen. 

Nein zu den Partys und den Leuten, die ich kaum kenne, die Platzhalter sind für Menschen, die ich gern um mich hätte, die aber nicht da sind und nein zu den endlosen Sätzen und Gesprächen über nichts und gar nichts und überhaupt nichts, die nur Platzhalter sind für Themen und Pausenfüller bis zur nächsten Runde Schnaps zum Bier, das warm ist, weil man schon viel zu lange nur so dasteht und wartet, dass noch etwas passiert, was nie zu etwas führt, weil nie etwas passiert und niemand jemals auch nur irgendetwas davon hat, wenn er sich an einer Sache versucht, die schon im Ansatz ganz falsch ist.

Mache ich aber nicht. 

Stattdessen noch eine Zigarette zum Mittwochmorgenblues dieser verschwenderischen Gedanken. Mit seinem Selbstmitleid muss man nämlich sparsam umgehen. Jedem Menschen sollte nur eine streng begrenzte Anzahl selbstmitleidiger Minuten gegönnt sein. Alles andere führt zu Lethargie und die führt immer nur zu dämlichen Rechtfertigungen. 

Probleme als billige Ausrede für Unzufriedenheit zum Beispiel. Drastische Partys als erstbeste Ausrede für Einfallslosigkeit. Dagegen hilft nur die Maßregel der Vernunft. Sozusagen Kant für den Alltag. 

Ich will also vernünftig sein und stehe auf. Nehme mir ein Glas Wasser und Kaugummis, zur Sicherheit. 

Auf dem Flur Schritte, an der Decke noch immer Surren.  

Die Uhr zeigt 5:05. Dann ein Klopfen und sie steht in der Küche. 

„Du kommst wohl gar nicht wieder ins Bett.“ 

Reibt sich die Arme, um nicht zu frieren. Schaut müde und voller Fragen zu mir. 

„Hey. Nein, vielleicht. Warte. Willst du was trinken?“

Ich nehme vorsichtig einen Schluck. Sie setzt sich an den Tisch. 

„Lass mal. Du siehst fertig aus.“

„Ja, danke. Ich kann dir auch einen Kaffee machen.“

„Wir können uns auch einfach wieder hinlegen.“

Als ich darauf nur kopfschüttelnd reagiere, sieht sie sich den vollgeschriebenen Zettel an. 

„Zwei Zeilen bringen dich um den Schlaf?“

Ihr Lächeln ist nicht sarkastisch. Deswegen ist diese Nacht vielleicht zynisch, weil sie es ernst meint. 

„Ist nur eine Idee“, sage ich.

„Ist nicht schlecht“, sagt sie.

„Was ist eigentlich mit dem Rest deiner Band?“ 

 „Alex und Markus sind im Ausland. Dauert noch so einen Monat.“

„Ah.“

„Und bei dir?“

„Ich bin seit ein paar Tagen mit einem Typen zusammen, den ich nur manchmal verstehe.

Das tut manchmal weh und ist eigentlich total albern, weil es für so etwas viel zu früh ist.“

Wir schweigen. 

Durch den Rauch meiner Zigarette dringt ihr Schweigen wie ein verkorkster Tagbeginn.

Es ist kein Vorwurf, genau das macht es so unerträglich relevant. 

„Tut mir leid“, sage ich. 

Meine Stimme dringt durch den Rauch wie verhaltener Regen,

der manchmal eben doch fällt, auch wenn man gar nicht mehr damit gerechnet hat.    

„Hör doch auf. Schreib lieber einen Song darüber.“

Ich gehe zu ihr.

„Ist doch wahr“, sagt sie und windet sich aus der Umarmung. Ihr Zopf streift mir durchs Gesicht. 

„In deinen Texten steckt immer dieser Durst, unstillbarer Durst nach mehr. Nach dem Leben, was auch immer das heißen soll. Nach den ganz großen Abenteuern, den ganz großen Gefühlen.“

Ich nehme keinen Zug, weil das eine einfache Ausrede wäre.

„Aber wenn man dich dann erlebt, falls ich dich erlebe, was weiß denn ich, dann bist du genau wie diese Zettel:

Die Zeilen darauf sind alle gut, sie drücken so viele verschiedene Sehnsüchte aus, so viele verschiedene Seiten,

aber am Ende streichst du sie alle weg. Und übrig bleibt der Zweifel daran, ob du gerade wirklich das tust,

was du wirklich willst.“ 

„Ich weiß, dass ich es nicht will“, sage ich. 

Meine Augen sind vom Qualm gerötet. Von Qualm und Schlaflosigkeit. 

„Aber etwas anderes geht gerade nicht.“

„Schade.“ 

Die Fassung in ihrer Stimme schneidet durch die Ruhe dieser Nacht. Sie streicht mir die Haare aus dem Gesicht und lächelt: „Wir hätten gut sein können.“

„Hätten wir. Bestimmt.“

Wir zögern vor dem Kuss, aber heute hält kein Zögern lange an.

Und das passt so genau zu alledem, dass es mich noch nicht einmal mehr wundert. 

Diesmal nimmt sie einen Stift und schreibt auf das Blatt: 

 

Is it the truth or just your state of mind?

 

Ich betrachte die blaue Tinte. 

Diesmal ist es kein unangenehmes Kribbeln an den Schläfen. Es fühlt sich richtig an. Vollkommen richtig.

Eine ganze Weile stehen wir so da und schauen auf den Tisch. 

„Stimmt es?“, fragt sie schließlich.

„Die Zeile? Ist nicht verkehrt.“

„Nein. Das mit ihr.“

Und vielleicht liegt es daran, dass dieser Augenblick so stimmig ist. Auf eine so auflösende Art stimmig, dass ich kaum überlege, als ich ihr antworte:

„Ich habe sie auf einem Konzert kennenglernt. Richtig gut waren seitdem nur noch die Abende, an denen sie dabei war.“

Sie legt meinen Arm um sich. Atmet ein. Langsam. Und wieder aus. 

„Deswegen funktioniert es nicht.“

„Ich hab’s versucht. Wirklich. Aber ich glaube, genau deswegen kann gar nichts anderes funktionieren.“ 

„Das ist gut.”

„Wir sind noch nicht richtig zusammen und machen Schluss, was ist daran gut?“

„Immerhin ist das, was du schreibst, dann nicht nur irgendein Mist.“

Jetzt lachen wir. Stehen dort und lachen darüber, dass etwas zu Ende geht, was noch gar nicht begonnen hat. 

Bis sie auf die Uhr zeigt: „Ich sollte mal.“

„Du musst nicht gehen.“

„Schau mal raus, es wird schon hell.“ 

Sie hat Recht. Allmählich schält sich der Tag aus den Wolken. 

„Außerdem ist es doch gerade ganz schön.“

„Auch wieder wahr“, sage ich und bilde mir ein, aus dem Wohnzimmer ein Röcheln zu hören. 

Wir reden uns zu, dass etwas von dieser Nacht bleiben wird, umarmen uns und sie geht. 

Einfach so. Weil es eben doch möglich ist, alles Wichtige gesagt zu haben. 

Ich setze mich wieder hin und reibe mir übers Gesicht. 

Aus dem Wohnzimmer dringt jetzt ganz sicher ein Röcheln. Irgendwer kotzt und irgendwer lacht.

Aber das ist im Moment überhaupt nicht wichtig. 

Vor mir liegen drei Zeilen als Chronik einer Epoche. Fremdeinschätzung und Selbstoffenbarung. 

Ich weiß, dass mit dem neuen Tag all das vorbei sein wird. Ein Experiment, das gelaufen ist. Der Versuch, ein Teil der Nächte zu sein, in denen viele sich das Streben abgewöhnen konnten. Aber ich möchte es mir nicht abgewöhnen, das weiß ich jetzt mehr denn je. Ich weiß, dass hinter all den Tresen und Partys kein großes Geheimnis wartet,

sondern weitere Tresen und weitere Partys. 

Das tut gut. Ich genieße die erste Ruhe seit Wochen. 

Angenehme Ruhe, obwohl die Geräusche aus dem Wohnzimmer immer lauter werden. 

Obwohl die Sonne immer aufdringlicher wird. 

Obwohl der Gedanke an Laura immer größer wird. 

Eine letzte Zeile fällt mir ein und ich schreibe sie noch auf das Blatt,

ehe mir der Kopf in die Hände fällt und ich einschlafe: 

 

Is it you or just the ‘you and me’?

INNENSEITER

von Mouna A.

 

Die falschen Schuhe, die falschen Freunde, falsche Influencer-Trends

sind der Grund warum man euch in unser'm Kreise nicht kennt. 

Dieser Verein wird geleitet von den immer selben Menschen.

Wie wir selbst hält sich die Neugier auf Neue(s) in Grenzen. 

Ganz egal seid ihr Egalen uns allerdings nicht, 

denn das nicht-Sein-wie-ihr gibt uns erst ein Gesicht. 

Es gäb kein schön ohne hässlich, kein richtig ohne falsch!

Uns're Looks wär’n nicht so hot, ließen uns eure nicht so kalt. 

Doch wir treten nicht nur auf als oberflächlich arrogant.

Auch elitären Bildungs-Schnöseln ist Ausgrenzung bekannt. 

Die falsche Nutzung von Memes, die falschen Games, die falschen Bücher - 

seit dem Internet geht Mobbing auch viel schneller als früher. 

Nehmt das bitte nicht persönlich, uns gibt’s halt nur in exklusiv. 

Wir sind der Maßstab - euer Wert steht zu unser’m relativ. 

Und bevor ihr euch im Wahn zu uns zu gehören verliert,

denkt daran: Ohne euch wären wir auch nur wie ihr.

Erster Stock, rechts, letzte Tür. 

von Peter @gewöhnlichgenug

 

Als ich wachgelegen jede Nacht,

dachte an die täglich Schlacht und daran,

dass das Um und Auf in Umwegen,

war doch der Sinn und die Suche nach neuen Wegen,

wo mich niemand entdeckt.

Denn jedes Versteck,

ganz egal wie unbequem,

im Kasten oder hinter Bäumen, 

denn wollt ich lieber das Leben versäumen,

lieber hinter Bushaltestellen hocken, 

wo ich zumindest konnte in Ruhe träumen. 

 

Wär ich doch lieber im Versteck geblieben,

dann hätten sich die Liebe und das Selbst doch noch gefunden

und stünden nun an der Haltestelle,

hätten nie übertreten jene Schwelle,

wo meine persönliche Hölle daraus bestand,

dass ich mich in Räumen befand,

wo das Träumen verschwand. 

 

Wär’s doch nur beim Träumen geblieben, 

denn habt ihr mir jede Chance genommen,

auch wenn ich konnte,

nach vier Jahren endlich entkommen, 

war das Selbst doch schon zu benommen

und konnte die Liebe im Selbst nicht mehr sehen,

war’s doch zu beschäftigt, täglich euren Blicken zu entgehen. 

 

Lag doch in der Beobachtung, die Achtung, 

dass ihr hoch auf eurem Ross herab, 

doch Acht genommen habt darauf, 

dass die Selbstachtung auch wurde nicht zu Hauf. 

Denn auch wenn die Achtung sich verlaufen hat, 

die Acht doch ihren Lauf noch hat. 

Hatte das Selbst doch gleich den Verdacht. 

Gib Acht. Matt.

  Ganz Großes Kino  

von Tayphoon @schreischrift

Die Stimmen der Menschen überkreuzen sich, stoßen mal aneinander und wechseln ihre Richtung, mal gehen sie ineinander über, ergeben eine Einheit und verstärken sich. Der Synergieeffekt ist nicht zu überhören. Oder sie bewegen sich im Gleichschritt nebeneinander her und räumen sich gegenseitig genug Spielraum ein, ohne ein Miteinander auszuschließen. Worte springen aus ihren Sätzen heraus und verbünden sich zu neuen Zusammenhängen.

Die Vielfalt der Töne lässt Rückschlüsse auf zahlreiche verschiedene Stimmungslagen ziehen. Aufregung, Hektik, Eile, Vorfreude, Unentschlossenheit, Überforderung sowie Scheu, Schüchternheit oder im Gegenteil das Selbstvertrauen. 

All dieser Dialog und Verkehr steigt empor, sammelt sich in einer kleinen Farbwolke über mir und fällt als Verbalregen auf mich herab,

Ich nehme bei voller Wahrnehmung der Romantik einen Schluck von meinem Kaffee. 

 

Es ist noch eine Stunde bis zum Film, die Eintrittskarte habe ich seit über anderthalb Stunden in meiner Hosentasche, kontrolliere alle paar Minuten,

ob sie auch noch da ist. Das Café, in dem ich sitze, ist fast bis auf den letzten Stuhl gefüllt. Nur an meinem Zweiertisch bleibt ein Platz frei und bei dem Kerl am anderen Ende des Ladens. Jeder andere Tisch für zwei scheint von einem Pärchen besetzt, die Gruppentische von kunterbunten Gruppen. Dann sind da auch noch die, die nebeneinander auf hohen Hockern an dieser komischen und ununterbrochen langen Plattform sitzen, die am Fenster entlang verläuft.

An den Momenten, in denen sie sich kurz ansehen, lachen und sich dabei in Verlegenheit wieder dem Fenster zudrehen, erfreue ich mich besonders. 

Und dann ist da dieser Tisch mit sechs Personen, je drei Jungs und Mädchen, mir direkt gegenüber. Auf den ersten Blick schien klar, dass es sich um drei Paare handelt. Aber im nächsten Moment verwarf ich diesen Gedanken auch schon. Denn da ist dieses Mädchen dabei. In den meisten Romanen würde jetzt vermutlich eine mehrere Seiten lange Beschreibung folgen, wenn überhaupt, würde ihr auch nur eine solche gerecht werden. Aber ihr sollt nicht sehen, was ich sehe. Ich möchte, dass ihr empfindet, was ich empfinde. Dafür müsst ihr euch den schönsten Menschen in Erinnerung rufen, den ihr jemals auf diese Weise irgendwo flüchtig getroffen und für eine lange Zeit nicht mehr aus dem Kopf bekommen habt. Und ein Roman wird das hier ohnehin nicht,

der Film beginnt bald.

Sie ist vertieft in das Menü, als wäre es ein Familienalbum. Ich vermute es sind die albernen Namen der Cocktails, die bei mir vorhin auch schon für ein Schmunzeln gesorgt haben. Nein, nein nein, es sind nicht ausschließlich Paare an diesem Tisch, denn ihr Schmunzeln ist ebenso einsam wie meins zuvor, ihre gesamte Anwesenheit bei diesen Leuten ist ein erstklassig inszeniertes Theaterstück. Sie verbringt vermutlich mehr Zeit damit, sich diese Szene von draußen vorzustellen und über Verbesserungen nachzudenken, als damit, einen ehrlichen Beitrag zur Unterhaltung um sich herum beizutragen. Außerdem sieht so nicht ein Mädchen an der Seite ihres Partners aus. Sollte es nicht. Es wäre ein Trauerspiel, wenn das der Fall wäre. Plötzlich bricht ein Gelächter unter den Statisten aus, die sich bei ihr befinden, und dieser aufgeblasene Kerl neben ihr holt sie mit einem Klaps auf den Oberarm aus dem Menü auf den Tisch, als würde er sagen „Hey, ich habe gerade etwas Lustiges gesagt, lach doch mit.“ Ihn würde ich nur zu gerne beschreiben, die Wortwahl würde allerdings zu sehr aus diesem Text herausstechen. Stellt euch hier also einfach ein Arschloch vor, ihr kennt genügend davon.

 

Das Eigenleben dieses Cafés fasziniert mich jedes Mal wieder. Würde ich meinen Kopf nicht ab und zu nach links drehen, fiele mir gar nicht ein, dass ich mich in einem riesigen Kino befinde und was ich wahrnehmen würde, wäre eine absurde Lautstärke und Masse an Geräuschen, die meinen Kopf enorm überfordert, weil sie überhaupt nicht mit meiner visuellen Wahrnehmung in dem Moment übereinstimmt.

 

„No Turning Back“, so heißt der Film mit Tom Hardy in der Hauptrolle. Eigentlich sogar in der einzigen Rolle, denn der Film spielt fast ausschließlich im Auto und bis auf ein- oder zwei Statisten in den ersten Momenten ist sonst niemand zu sehen. Weitere Charaktere hört man lediglich in Telefongesprächen, welche den Zuschauern die Intensität der Misere, in der sich der Protagonist befindet, hautnah spüren lassen. Spüren lassen sollen.

Ivan Locke ist ein eigentlich treuer, liebender Familienvater aber er hat Mist gebaut. Eine sehr einsame Frau, die er durch die Arbeit kennt, ruft ihn an,

weil sie nun ihr gemeinsames Baby zwei Monate früher bekommt als erwartet. Ohne zu zögern verlässt er eine Baustelle, deren Bauleiter er übrigens ist, steigt in sein Auto und geht die über einstündige Fahrt an. Dieser Mann ist nun also mitten in der Nacht auf dem Weg ins Krankenhaus einer anderen Stadt, wo eine genau genommen fremde Frau sein Kind bekommt, während seine Ehefrau und zwei Söhne ihn zu Hause für ein wichtiges Fußballspiel erwarten.

Zu allem Überfluss, steht am nächsten Morgen das wichtigste Bauprojekt seiner Karriere an, was er also zwangsläufig verpassen und nicht beaufsichtigen können wird.

Locke wirkt von Anfang an unbeeindruckt, in keinster Weise ernsthaft überfordert, auch wenn er hin und wieder seinem enormen Stress Ausdruck verleiht Einen Anruf nach dem anderen tätigt oder nimmt er an. Er beichtet seiner Frau die ganze Wahrheit über seinen Seitensprung, erklärt seinem Sohn, dass er ihn und seinen Bruder wegen des Spiels enttäuschen muss, spricht mit seinem Vorgesetzten und Stellvertreter, welchem er haargenaue Anweisungen gibt, damit der das Projekt am nächsten Tag an seiner Stelle leiten kann. Außerdem telefoniert er des öfteren mit der schwangeren Frau in den Wehen und versucht sie zu beruhigen. -„Okay, ich mach's, weil ich dich liebe. […] Kannst du es nicht wenigstens auch einmal sagen?“ -

„Nein, kann ich nicht, nein. Kann ich nicht. Aber ich kann so schnell kommen, wie es der Verkehr zulässt.“

Ivan Locke ist ein faszinierender Charakter, er zieht mich mit seiner Art und Weise in den Bann. Seinen Antrieb, das Richtige zu tun, bewundere ich.

Es ist eine echt harte Situation für ihn, er hat einen großen Fehler begangen und muss nun dafür geradestehen. Während dieser objektiv kurzen aber gefühlt unendlichen Autofahrt verliert er seinen Job, kümmert sich am Telefon aus persönlichem Verantwortungsbewusstsein und Ehrgeiz jedoch weiterhin um das Gelingen des Projekts. Seine Frau verlässt ihn und befindet sich zu Hause in Tränen, die Söhne noch nichts ahnend. Und trotz alldem gerät er nicht einen Moment in ein Dilemma zwischen seinem eigentlichen Leben und seinem Fehler. Es entsteht nicht der geringste Konflikt zwischen seinem Wohlbefinden und seiner Verantwortung. Er wird für das Baby da sein, die fatale Affäre nicht alleine lassen und er wird hinnehmen, dass ihm sein bisheriges Leben entgleitet. Aber an dem Begriff 'aufgeben' scheint er nicht zu denken, Locke verzweifelt nicht, sondern will unter den gegebenen Umständen schnell wieder Herr über die Situation werden. Und ich bin sicher, dass er es wird, auch wenn die Geschichte für uns Zuschauer vor dem Krankenhaus endet.

 

Der Film ist nun vorbei und auf dem Weg zum Ausgang lasse ich mir diesen Menschen durch den Kopf gehen, der mir da gerade auf der Leinwand präsentiert wurde. So viele Filme habe ich bis heute schon gesehen, darunter welche wie 'Harry Potter', 'Superman' oder 'Pretty Woman'. Aber von allen fiktiven Persönlichkeiten ist es ausgerechnet Ivan Locke, dessen Realitätsbezug ich versuche herzustellen. Und ich kann nicht anders als mir die Frage zu stellen:

In einer narzisstisch geprägten Gesellschaft, in der jeder der Größte ist oder sich mindestens nicht dazu bewegen kann, wahre Größe anzuerkennen, könnte diesem Mann die Anerkennung und Wertschätzung zuteil werden, die jetzt in meiner Wahrnehmung vorherrscht? Oder würde er als Ehebrecher verteufelt und ausgestoßen werden von Menschen, die ihre eigenen Sünden unter den Teppich kehren und sie vergessen wollen?

 

Dieser Kerl aus dem Café, der mich auf eine Art spiegelte, sitzt noch immer dort, wo er auch vorher war. Dass er einen anderen Film besucht hat, der vor meinem zu Ende ging, schließe ich aus, denn ich habe mir die Vorführzeiten genau angesehen. Ich kaufe auf die Schnelle zwei Bier und gehe zu ihm. Ich sehe, dass er ein dickes Notizbuch mit sich führt, ein schönes schwarzes. Muss teuer sein. Der Stift dagegen, mit der Aufschrift einer mittelmäßigen Versicherung, ist sicher über Umwege bei ihm gelandet. Ich lege ihm die eine Flasche auf den Tisch, ziehe den ihm gegenüberliegenden Stuhl zurück, um mich hinzusetzen. Mit dem Rücken zum Ausgang. Die zweite Bierflasche hebe ich kurz auf Stirnhöhe und strecke sie dabei leicht in seine Richtung, so als würde ich beide miteinander bekanntmachen.  

 

„Es gibt hier in der Nähe einen Pub, da...“, während ich spreche, bemerke ich wieder die Gruppe mit dem Mädchen, der Gewalttäter läuft lautstark

etwas erzählend vorne weg, sie läuft einen halben Meter hinter den anderen her und schaut um sich, betrachtet die Plakate zu den kommenden Filmen.

Ich begleite die Gruppe mit meinen Augen und drehe den Kopf dabei bis ich den klassischen Schulterblick erreiche.

Währenddessen führe ich meinen Satz weiter aus: „... spielen sie echt gute Musik. Gibt es nicht oft.“

Bevor die Sechs durch den Ausgang laufen, höre ich das Arschloch noch sagen: „Wer soll denn jetzt noch Auto fahren,

von Autofahrten haben ich fürs Erste genug!“ Vier Leute lachen über diese Bemerkung.

 

Ich wende mich mit einer plötzlichen Kopfdrehung wieder meinem Gegenüber zu, der mich zwar irritiert, aber freundlich und erwartungsvoll ansieht. 

„Muss nur kurz noch was machen, was Richtiges, bin sofort wieder da. Bestell doch bitte solange noch ein Bier“, sage ich.

 

Die Stimmen sind nun trüber, müder und suchen ihre Ruhe. Abschied geistert durch die Luft. Die Lautstärke ist noch zu bemessen,

aber die Worte um keine wahrnehmbare kleinste Einheit mehr von der Stummheit zu unterscheiden.

 

Und für euch endet diese Geschichte hier vor dem Ausgang des Kinos. 

Seit 23 Jahren

@shamimoffiziell

Shamim Shahbazi

 

“Bist du schon aufgeregt?”, sagt Mama und klatscht. Ich nicke und werfe meine Schultüte hoch.

“Jaaaa!”

Heute gehe ich zum ersten Mal in die Schule. Meine Mama hat gesagt, ich muss mich anstrengen. Natürlich strenge ich mich an. Was denkt sie denn!

“Also, gehen wir?” Mama zupft an meinen Haaren. Ich nicke wieder und trage meine schwere Schultüte ganz alleine bis zur Schule. Mama läuft neben mir. Sie will, dass ich ihre Hand nehme, wenn wir über die Straße laufen.

“Aber ich kann nicht, Mama!”, rufe ich. “Ich brauche alle meine Hände für meine Schultüte!”

Warum sie jetzt lacht, verstehe ich nicht.

Dann sind wir da. Die Schule ist groß. Eigentlich riesig. Viele, viele Menschen stehen da. Kleine Menschen und große. So viele habe ich noch nie gesehen.

“Schau mal, da ist dein Klassenzimmer. Deine Klassenkameraden stehen schon davor, geh doch zu ihnen.”

Ich renne zu den Mädchen. “Hallo!”

Die Mädchen schauen mich an. Alle haben ein Kleid an, so wie ich. Sie haben auch Schultüten in der Hand, so wie ich.

“Hallo”, sagt eine leise. Die anderen schauen mich immer noch an.

“Ich bin Marie”, sagt sie. “Und wie heißt du?”

Ich sage meinen Namen und grinse.

Die Mädchen schauen mich immer noch an. Von oben bis unten.

Ich werde rot und schaue auf meine Füße. Ich habe extra mein Lieblingskleid angezogen, weil ich dachte, die anderen Mädchen finden mich dann bestimmt hübsch.

Vielleicht finden sie es nicht schön?

Oder vielleicht stinke ich?

Eine Glocke läutet und die Tür zum Klassenzimmer geht auf. Meine Mama winkt und ich halte mich an meiner Schultüte fest. Alle laufen rein.

 

Meine Mutter reißt mir das Handy aus der Hand.

“Tinder?!”, kreischt sie. “Kind, du bist erst 17!”

Dass sie meine Privatsphäre einfach null respektieren kann! Ich kann auf meinem Handy machen, was ich will.

“Gib das zurück!”, schreie ich wütend.

Sie verschränkt die Arme. “Ich verstehe ja, dass du Jungs interessant findest und so weiter. Aber… Jungs gibt es doch genug an deiner Schule! Die musst du doch nicht auf dem Handy kennenlernen!” Ihr Blick gleicht einer Mischung aus Entsetzen und Sorge.

Ich schnappe ihr das Handy aus der Hand und sie wehrt sich nicht einmal dagegen.

“Die Jungs an meiner Schule mögen mich nicht”, flüstere ich und schaue sie dabei an.

Ihr Blick wird jetzt sanfter, liebevoller.

“Mein Engel, wer dich nicht liebt, hat dich nicht verdient. Du bist so eine wundervolle, junge Frau. Sieh dich doch nur an.”

Wütend und beschämt schaue ich zu Boden. Ich hatte noch nie zuvor mit meiner Mutter über dieses Thema gesprochen.

“Es ist ja nicht so, als ob ich es nicht versucht habe. Ich habe Jakob schon drei Mal gefragt, ob wir nach der Schule was machen wollen. Aber er hat immer eine Ausrede gefunden.”

“Dann ist dieser Jakob einfach ein Idiot”, erklärt meine Mutter und drückt sanft meine Schulter. “Es gibt noch so viele andere Jungs, glaub mir. Was ist denn mit Daniel? Er war doch ein paar Mal hier zu Besuch.”

“Dani will nur mit mir befreundet sein. Ich bin nicht sein Typ, hat er mal gesagt.” Ich blicke weiter betreten zu Boden.

Alle meine Freundinnen hatten schon mal einen Freund, oder wenigstens einen Typen geküsst. Nur an mir hatte scheinbar keiner Interesse. Ich verstehe nicht, warum.

Ich bin gepflegt, ich achte auf meine Klamotten. Ich schminke mich dezent und mache Sport. Ich versuche, offen zu allen zu sein und viel zu lächeln. Das finden Jungs attraktiv, habe ich gelesen.

Meine Mutter umarmt mich fest und flüstert “Meine Süße, ich verspreche dir, eines Tages wirst du jemanden finden, der dich so liebt und schätzt, wie du bist.”

Dann verlässt sie mit einem gezwungenen Lächeln mein Zimmer.

Ich entsperre mein Handy wieder und lege mich auf mein Bett.

Eine neue Nachricht auf Tinder - von einem Matthias. Ich sehe mir sein Profil an. Ein großer, sehr trainierter Mann. Dunkelblond, braune Augen, 19 Jahre alt. Ich lächle - er sieht wirklich gut aus.

Aufgeregt öffne ich seine Nachricht und male mir schon aus, wie ich ihm ein Kompliment machen könnte.

“Hey, woher kommst du?”, steht in seiner Nachricht.

Ich schüttel grinsend den Kopf. Hat er denn nicht mein Profil angesehen?

“Rosenheim, und du?”, schreibe ich zurück. Vielleicht könnte das ja etwas werden.

 

Mein Handy vibriert. Es ist meine Mutter. Ich habe noch etwa zehn Minuten, bis ich los fahren muss, also nehme ich ab.

“Hallo Mama”, sage ich und stopfe mir einen Löffel Müsli in den Mund.

“Hallo meine Süße, und, bist du aufgeregt?”

Ich schlucke schnell runter und grinse dann. “Ich glaube, du mehr als ich.”

“Ja, das stimmt. Ich kann einfach nicht glauben, dass mein kleines Baby ihren ersten richtigen Job beginnt. Und dann gleich bei so einer großen, bekannten Firma!” Ich kann hören, dass meine Mutter die halbe Nacht nicht geschlafen hat.

Obwohl ich seit einem halben Jahr ausgezogen bin, fiebert sie immer noch mit mir mit, als würde alles vor ihren Augen geschehen.

“Ich hab dich lieb, Mama. Ich muss aber gleich los, endlich Geld verdienen!”

Ich lache und merke, dass sie das beruhigt.

“Ich werde an dich denken. Ruf mich heute Abend an!”

Wir verabschieden uns und ich lege auf. Dann atme ich ein paar Mal tief durch. Ich darf diesen Job auf gar keinen Fall verbocken. Es hat ohnehin schon viel zu lange gedauert, bis ich überhaupt einen bekommen habe. Ich habe bestimmt 40 Bewerbungen geschrieben.

Auf der Fahrt zur Arbeit lasse ich mein Bewerbungsgespräch Revue passieren.

“Wir sind ein internationales Unternehmen. Davon profitieren alle unsere Mitarbeiter”, hatte mein zukünftiger Chef mir gesagt.

Was er genau damit meinte, habe ich bis heute nicht verstanden. Aber ich war einfach nur froh, endlich eine Jobzusage erhalten zu haben.

Auf dem Parkplatz der Firma angekommen, atme ich noch einmal tief durch und gehe dann durch die Tür zum Empfang.

Die Dame grinst mich an. “Ah, Sie müssen…” Sie wirft einen Blick auf eine kleine Karte in ihrer Hand und zögert. “... die neue Kollegin sein!”

Sie lächelt verunsichert und drückt mir die Karte in die Hand.

“Damit kommen Sie rein und raus, wenn mal abgesperrt sein sollte. Und das Mittagessen in der Kantine können Sie sich auch darüber abrechnen lassen…”

Während sie erzählt, starre ich nur auf die Karte.

“Entschuldigung, mein Name ist falsch geschrieben”, unterbreche ich sie mit einem freundlichen Lächeln.

“Oh”, sagt sie nur und blickt auf die Karte.

“Da kommt ein ‘h’ nach dem ‘e’”, erkläre ich höflich.

Lange sieht sie die Karte mit zugekniffenen Augen an. Sie bewegt ihre Lippen, als würde sie sich den Namen selbst buchstabieren.

Dann lächelt sie mich übertrieben an. “Naja das macht nichts, die Karte funktioniert trotzdem und das ist ja die Hauptsache. Es ist ja kein Ausweis oder so.” Sie klatscht in die Hände und bevor ich etwas sagen kann, erklärt sie mir, wo meine Kollegen sitzen.

Verwirrt aber aufgeregt laufe ich mit großen Schritten zu meinem neuen Büro. Meine Karte umklammere ich fest und öffne dann vorsichtig die Tür.

Ich erblicke drei Frauen, die nah bei einander stehen und sich unterhalten. Alle ungefähr in meinem Alter, alle ähnlich gekleidet wie ich. Ich atme durch und bin erleichtert. Da passe ich bestimmt rein.

Eine dreht sich um und gibt mir die Hand, als sie auf mich zuläuft.

“Hallo, ich bin Jessica, es freut mich total, dich kennenzulernen.”

Ich sage meinen Namen und lächle selbstbewusst in die Runde.

“Oh, okay.” Eine andere Kollegin lacht unsicher. “Kann man den abkürzen?”

“Ich mag eigentlich keine Spitznamen”, erkläre ich mit einem Lächeln und stelle meine Tasche ab.

“Wir haben uns schon alle total gefreut, dich endlich persönlich zu treffen”, erklärt Jessica und klatscht in die Hände.

Mein Herz pocht etwas schneller. Auch wenn ich es nicht mag, im Mittelpunkt zu stehen, so ist die Offenheit doch eigentlich etwas Gutes… oder?

“Also, erzähl mal, wo kommst du her?”

Das ist das A.

“Naja klar, aber wo kommst du wirklich her?”

Da ist das N.

“Dann sind deine Eltern aus dem Ausland?”

Da ist das D.

Plötzlich bin ich wieder sieben Jahre alt und sitze an meinem ersten Schultag im Klassenzimmer. In genau diesem Moment spüre ich, wie meine Mitschülerinnen ihre Arme neben meinen halten, um dann “Oha, Anna, schau mal!” zu rufen.
Plötzlich bin ich wieder 17 und realisiere, was ein Junge meint, wenn er sagt, er steht auf Karamell. Ich fühle wieder, wie der Stempel auf meiner Stirn brennt. “Exotisch”, steht da.

Und jetzt bin ich 23 und erlebe die Erwachsenen-Version. FSK 18 praktisch. Zumindest fühlt sich das gerade schonungsloser an, als zuvor.

“Es ist bestimmt total warm dort, oder?”

Da ist das E.

“Reist du dann oft zu deiner Familie?”

Da ist das R.

“So cool, dass du Arabisch sprichst! Hört man deinem Deutsch gar nicht an!”

Da ist das S.

Plötzlich bin ich 23 und bekomme in den ersten vier Minuten meines ersten richtigen Jobs klar gemacht, dass ich anders als der Rest bin.


 

© Shamim Shahbazi

Instagram: @shamimoffiziell

Nur ganz kurz

Lilian

@verses.of.lilian

 

Nur ganz kurz, ich möchte hier wirklich nichts unterbrechen,

nur ganz kurz, ganz kurz, über meine Haare sprechen. 

 

Was siehst du, wenn du mich anschaust? 

Was denkst du? 

Du siehst meine Haare, bevor du mich siehst. Du siehst eine Frau, aber du siehst auch keine Frau. Du siehst Sexualität, wo keine Sexualität ist. Du siehst Haare, aber du glaubst, noch so viel mehr zu sehen. Du siehst eine Frau. Und du siehst keine Frau. 

Nur ganz kurz. 

Ganz kurz.

Meine Haare sind lang und ihr Gewicht erdrückt mich. Im Sommer kleben die Locken auf der Haut. Im Winter am Mantel. Ich weiß nicht, wohin mit meinen Haaren. Ich weiß nur: wenn ich dir davon erzähle, gefällt dir der Gedanke. Wie ich aussah. Die Vorstellung, wie diese andere Frau gewesen sein muss. Du stellst dir vor, wie ich ganz und gar Frau bin.

Ganz kurz. 

Diese andere Frau bin nicht ich. Manchmal beschwöre ich diese Erinnerung, um anders Frau zu sein. Frau Frau zu sein. 

Ich bin neunzehn und schneide meine Haare ab. Ein Lehrer fragt, ob ich ins Kloster gehe. Ein Kollege fragt, ob ich jetzt lesbisch bin. Sicher nicht? Die Frage wird noch öfter kommen. Viele sind überrascht – ich sehe noch immer weiblich aus. Noch immer hübsch – hübscher vielleicht? Ich finde mich schön. Vielleicht zum ersten Mal wirklich. Sicher nicht?

Ganz kurz. 

Ich mag Männer. Ich mag meine Haare. Ich mag Frauen. Ich liebe meine Haare. Ganz kurz. Ich umarme eine Freundin. Ein Bekannter grinst, sicher nicht? Ich verneine. Meine Sexualität ist keine Frisur. Meine Frisur erzählt keine Geschichte. Hier spreche ich. Nicht meine Haare. 

Nur ganz kurz.

Ich mag Männer. Ich mag meine Haare. Und ich mag Frauen. Aber ich lasse nicht gerne andere für meine Haare sprechen. Also sage ich nein. 

Ich falle aus dem Schema und ich gefalle. Ich gefalle mir. Nummer eins Anmachspruch: ein Kommentar zu meinen Haaren. Sie sind kurz. Aber nicht zu kurz. Du kannst dir noch immer vorstellen, im Halbdunkel hineinzugreifen und meinen Kopf nach hinten zu ziehen.

Ganz kurz. 

Ich rasiere meine Haare ab. Kurze Panik. Ich fühle mich nackt. Verletzlich. Dann fühle ich mich frei. Ich bin Frau. Ich bin frei, Frau zu sein. Ich fühle mich stark. Frauen kommentieren meine Haare bewundernd. Nur ein Mann kommentiert. Er fragt, ob ich lesbisch bin. Warum ich lieber ein Mann sein möchte. Ich möchte kein Mann sein. Zu kurz.

Ich habe jetzt einen Schutzschild. Ich werde unsichtbar. Ich bin frei, Frau zu sein, wie ich Frau sein möchte. Für viele Augen werde ich unsichtbar. Ich sehe mich endlich wirklich. 

Ganz kurz. 

Text über mich 

Jakob Artmann

@jakobartmann

Allein, 

Hier, 

Trennt mich nur meine Wut vom Alter. 

Glatt, 

Biegsam, 

Tätig, 

So bin ich auf der leeren Straße. 

Gehabt, 

Getragen, 

GEfürchtet, 

So sehe ich aus unter der Zwiebelhaut. 

Und mein Leben seht ihr rinnen 

Für euch, für Zuschaun, Spotten, Lernen, 

Für Hoffen, Weiter, euch, Übermorgen, 

Für Kotze, Kälte und meine Liebe, 

Die hier, 

Zwischen diesen Altpapieren, 

Wie ein erst kürzlich eingebauter Elektromotor brennt. 

Nie 

Jakob Artmann @jakobartmann

Nein, nicht nach der Gruppe. 

Nie nach dem was die Mehrern wolln. 

Wir Mindern sind die Schönen und die Reichen. 

Nie auf dem breitgetretnen Weg. 

Aber lass uns jenen Krummen gehn. 

Auf ihm wachsen die teurern Blumen. 

Nie mit der Selbstverständlichkeit der Deppen 

Zueinander freundlich sein. 

Auch spucken. 

Wisst ihr, das verlange ich von euch. 

Pernod-Cola.

Sarah Arndt @sarasaurus

 

Das erste, was einem auffiel, war der Geruch. Christiane hatte die Vorhänge ausgesucht. Hatte sie gemütlicher gestalten wollen, seine kleine Kneipe, und deswegen Stoffe gekauft, die sie in ihrer Wohnung an einer alten Nähmaschine umgenäht hatte. Damals, in ihrem ersten, guten Jahr. Seine liebe Christiane. Er hatte Dübel in die Wand gedrückt und dann hatten sie ihr gemeinsames Werk betrachtet: Die Kneipenfenster, seit jeher halb Fenster-, halb Strukturglas, nun eingefasst von festem, blauem Stoff. Er hatte sie nie gewaschen oder gar ausgewechselt, denn sie waren das, was ihm von Christiane geblieben war, und deshalb roch es hier auch jetzt noch so, als hätten sie das Rauchen in Gaststätten niemals verboten. Seit diesem Tag vor, wie es ihm vorkam, einhundert Jahren, schloss er Tag um Tag die Kneipe auf, setzte sich auf einen der Barhocker und richtete seinen Blick auf den Ausschnitt, den ihm Strukturglas und Vorhänge noch ließen: kaum mehr als vorbeiströmende Haarschöpfe. Menschen, die ihren Weg niemals durch seine Tür fanden, weil ihre Haare gekämmt und ihre Körper frisch geduscht waren. Ihr Verstand klar genug für Drinks in Bars, in denen das Licht nicht diesig war und es störte ihn nicht, dass er nicht vom Laufpublikum lebte, sondern von jenen Menschen, die irgendwann mal angeschwemmt worden waren. Denen es an einem Platz fehlte. Einer, in dem das Licht gedämpft genug war, damit sie sich sicher fühlten. Einer, mit Vorhängen von 1999, die nach alten Lucky Strikes rochen. Ein Platz, an dem Pernod-Cola das außergewöhnlichste Getränk auf der Karte war und an dem Strukturglas sie vor den Blicken und dem Alltag bewahrte. Die Zeit wechselte sie aus, einen nach dem anderen, und vielleicht blieb das seine einzige Konstante. Er sah sie alle kommen und irgendwann verschwinden, meist dann, wenn ihre Falten zu Schluchten und ihre Zähne optional geworden waren. Es gab einen Punkt, an dem sie verstummten. Sie erzählten ihr Leben, wieder und wieder und wieder, und irgendwann hörten sie damit auf. Starrten von da an nur noch in ihre Gläser, die er aus Gewohnheit füllte und die  sie aus Gewohnheit leerten und dann dauerte es nicht mehr lang, bis wiederum ihr Platz eine Weile leer blieb und nur der Zufall dafür sorgte, dass er sich wieder füllte. 

Und es gab die Schnapsnasen, die jenseits der Zeit existierten und die etwas anderes dahinraffte, die irgendwann umfielen und dann nicht mehr aufstanden, egal ob ihre Falten schon tief genug und ihre Leben zu genüge erzählt waren. Er hatte irgendwo einmal gelesen, dass sich Nasen durch Alkoholkonsum entzündeten und zu Knollen wachsen konnten und er wusste nicht, ob das tatsächlich so stimmte, aber dann wiederum: Er sah es doch. Er sah es jeden Tag. Er konnte beobachten, wie ihre Gesichter immer röter wurden, wie die Adern unter der blass-grauen Haut aufplatzten und wie aus normalgeratenen Riechorganen unförmige Knollen wurden. Wie sie sich immer mehr entfernten von dem da draußen und immer mehr wurden wie jeder hier drinnen.

Die Tür ging auf und lenkte ihn von den vorbeieilenden Schöpfen und den eigenen Gedanken zu dem ersten Gast des Tages, zu Franz, der immer der erste und manchmal der letzte war. Franz trank Altbier und nickte ihm immer mal wieder zu. Franz kam her, seit er im Herbst letzten Jahres seine Frau an Bauchspeicheldrüsenkrebs verloren hatte und den Verlust seitdem mit Bier auszugleichen versuchte. Sie hatten ein einziges Mal geredet. Über seine Frau und die letzten Tagen und er hatte Franz eine Hand auf die Schulter gelegt und gesagt, dass sie letzten Tage die schlimmsten seien, er wüsste es, denn Christianes letzte Tage waren die längsten seines Lebens gewesen. 

Franz setzte sich an den Tresen und er ging dahinter, hörte auf, sich selbst der beste Gast zu sein und schenkte von nun an einzig Bier für fremde Hände aus. Das würde so weitergehen, bis seine Geschichte auserzählt, bis er aufgestanden und dann umgefallen war und vielleicht war auch das eine Konstante. Vielleicht gehörte er dazu, hatte nur eine andere Position und war damit der, der nicht nur seine eigene Geschichte, sondern die aller ertragen musste. Zum Glück waren da noch die Schnapsnasen, denn manchmal gab es keine tragische Geschichte hinter den Gesichtern, manchmal waren sie die Geschichte selbst, war die tragische Geschichte nur ihr Griff zum nächsten Glas, das kleine Zittern, wenn sie sich setzten und der Schleier auf ihrem Blick, wenn sie Stunden später wieder aufstanden und eigentlich längst aufgehört hatten zu sein, dort draußen, hinter Strukturglas und Vorhängen. 

Innenseite 

von Pierre @fliegeimkopf

 

Welchen Ort meint eigentlich das Wort Außenseiter? Außen wovon? Draußen von welchem drinnen? Und weiter: Welche Seite? Oben? Unten links rechts? Innen? Hinten vorne? Und was ist auf der anderen? Ist das bekannt? Was ist hinter der Wand? Die anderen? 

Er steht außen seit er sich die Nägel lackiert Er steht außen seit er Judo probiert Er steht außen seit er seine Achseln rasiert Er steht außen seit er in Englisch brilliert Er steht außen seit er Mathe nicht kapiert Er steht außen seit er sich im Schwimmbad geniert Er steht außen seit er mit Jungs kopuliert Er steht außen seit er die Nerven verliert Er steht außen seit er nicht mehr mit euch marschiert Er steht außen seit er Steht außen seit er Außen seit er 

Und er friert. 

Harte Schule 

Pierre @ fliegeimkopf

Weiß noch. Da war ich gerade in die fünfte Klasse gekommen. So ein Schulwechsel geht ja immer mit schweren Traumata einher, gerade der große weg von der Grundschule. Da heißt es runter von der Polly Pocket Insel und ab zu den Haien, wenn du verstehst. Als hätte die Welt die Geduld verloren mit dem Umstand, dass du immer noch Kind bist. Von Jetzt auf Gleich ist Schluss mit Ausmalen und Klatschen und "Mimi, die Lesemaus", stattdessen Algebra und das S muss mit und Konjunktiv. Auf dem Schulhof wird jetzt nicht mehr Gummitwist gespielt, sondern gefummelt und heimlich Marlboro light geraucht und auf den Mädchenklos gibt's zwar immer noch Kunst, aber keine Diddlblätter zum Tausch mehr, wie früher. Da schmiert stattdessen in jeder Pause eine verklatschte Siebtklässlerin mit einem Tampon impressionistische Liebeslyrik an die Wand. Guck nicht so, ist wirklich passiert. Auf meiner ersten Busfahrt zur neuen Schule hörte ich es ein paar Reihen vor mir aus einem heraus krächzen, den der Stimmbruch besonders hart rangekommen hatte: “Du hast so viele Pickel, 

wenn ich dir gleich in die Fresse schlage, spritzt zuerst der Eiter raus und dann das Blut”. Hat der original so gesagt. Auf den Sitzen hinter mir fand simultan der Expertentalk zweier angehender Hausfrauen statt, und der ging so: “Will meiner Mama nachher einen Kuchen backen, was ist nochmal der Unterschied zwischen Fett und Öl?” Einwurf von der letzten Bank: “Denk doch mal nach, Anna-Lena, bist du öl oder bist du fett?” High Five, Applaus und Standing Ovations in den hinteren Sitzreihen. Das war morgens um viertel nach Sieben, da waren die noch nichtmal richtig in Fahrt. Hat aber für einen Eindruck gereicht, und während ich tiefer und tiefer in meinen Sitz versunken bin, dämmerte mir: Jetzt beginnt er also wirklich, der sogenannte Ernst des Lebens. Mein Vater hatte mich gewarnt: Vorbei waren die Zeiten, in denen die Klassenlehrerin, die man Frau Schäfer nannte und trotzdem duzen dürfte, in Schönschrift "Kai liest auch fremde Texte flüssig" auf dem Zeugnis vermerkte und eine fleißige Biene darunterstempelte. Von nun an würde alles, was ich tat oder nicht tat, sagte oder nicht sagte, sogar alles, was ich war oder nicht sein konnte, mein Gewicht, mein Geschlecht, mein Glaube, meine Kleidung, ob ich einen Fünfer oder ein trockenes Brötchen in der Tasche hatte, die Farbe meiner Haut und meine Art zu sprechen von ausgebildetem Fachpersonal beäugt, bemäkelt, beurteilt und schließlich in einen Code übersetzt werden, eine Hand voll Zahlen von eins bis sechs auf einem hochoffiziellen Fetzen Papier. Mit dem könnte man mich später auf dem Arbeitsmarkt zügig, halbautomatisiert und beinahe unbürokratisch zwischen Steuerklasse I und Hartz IV einsortieren, zwischen Top und Flop, Sein oder nicht Sein. Der Code würde den Tresor öffnen oder eben nicht. Da war man fast geneigt, einen Funken Verständnis aufzubringen für die Rüpel im Omnibus. Das Prozedere allgegenwärtiger Beurteilung kannten die ja nicht erst seit gestern, das hatte eben Spuren im weichen und noch formbaren Zerebrum des gemeinen Heranwachsenden hinterlassen: Der hatte die Dyade aus Beobachten und Bewerten in der Schule als fundamentalstes Prinzip der Erwachsenenwelt begreifen gelernt und es sich schleunigst selbst angeeignet, dass man ihn auch bloß nicht länger mit einem Kind verwechseln würde: Der Heranwachsende beobachtete also und bewertete, und zwar mit jedem neuen Achselhaar mehr. Als der Bus den Wendeplatz vor der Schule erreicht hatte, warf darum einer, er hatte die Fahrt zum Beobachten und Bewerten genutzt, der stämmigen Eugenia eine leere Dose Fanta an den blondierten Schopf. Die war gerade frisch aus Polen herübermigriert, lebte mit ihrer Familie in der Sozialwohnung über der alten Postfiliale und sprach angeblich noch kein Wort Deutsch. Fünf Minus, ganz klar. “Arschloch”, rief sie nun zur Überraschung der Schaulustigen aus und, wieder Erstaunen: “Orgasmus”. Na, ein paar Brocken hatte sie also doch aufgeschnappt. Wer hier übrigens mit Dosen werfen durfte und wer sie an den Kopf bekam, war das Ergebnis einer von außen betrachtet völlig willkürlichen Hackordnung. Klar erkennbar aber war, dass es nur wenige gab, die gepiesackt wurden und ebenso wenige, die dafür verantwortlich waren. Der Rest der Schulgemeinschaft duckte sich irgendwo im Mittelfeld unter fliegenden Fäusten und Getränkebehältern hinweg, lachte vielleicht mal aus Höflichkeit über eine pfiffige Beleidigung oder feuerte bei einem Gerangel pflichtbewusst den Beliebteren der beiden an. Die meiste Zeit jedoch war diese Mehrheit damit beschäftigt, nicht aufzufallen zwischen den beiden Extremen links und rechts von ihnen, den Tätern und den Opfern - Gauß'sche Normalverteilung nennt man das übrigens, wenn es nur wenige gibt, die positiv oder negativ aus der generischen Masse herausragen. Graphisch dargestellt sieht das aus wie ein Pickel und das passt, ist nämlich noch so ein Prinzip, das man in der Schule an allen Ecken und Enden zelebriert, auch im Lehrerzimmer. Wehe, bei einer 

Klausur schreiben mal alle die Bestnote, oder alle vergeigen, dann kannst du dich als Lehrer aber auf ein Donnerwetter einstellen, und der Notenspiegel wird erstmal zu forensischen Spurensuche ins Labor weitergereicht. Was man in dieser Institution erschafft, was man lobt und zum Erhalt der Weltordnung beiträgt, ist eine Mehrheit aus Durchschnittlichen und Langweiligen, die Bankkaufmann werden oder Steuerfachangestellte, und nur wenige Gewinner und Verlierer, die aus der Masse herausragen, wahlweise zur Abschreckung oder zur Orientierung. Wenige Stunden nach der markerschütternden Busfahrt zog man mich dann auch gleich zur Abschreckung heran, da fand ich mich auf dem Pausenhof umzingelt von einer Gruppe neuer Mitschülerinnen, die mich wie einen Fußball durch Tritte von einer Furie zur anderen kickten. Anlass der heiteren Bolzerei wird wohl der unverhohlene Ekel in meinem Gesicht gewesen sein, den jemand bemerkt haben musste, als ich mit geduckter Haltung an der Damenrunde vorbei geschlurft war. Es war aber auch widerlich: Eine der Mitschülerinnen hatte am Kiosk ein Stück kalte Pizza erworben, es zum Sezieren auf einer Serviette dargeboten, dann mit spitz manikürten Fingern den harten Käsepanzer vom übrigen Belag gehobelt wie ein Pflaster von der Wunde und zuletzt versiert die Champignonscheiben heruntergesammelt. Bei dieser Darbietung chirurgisch formvollendeter Ausweidung war Wegschauen quasi ausgeschlossen. "Was gibt es da zu glotzen", wollte man dennoch verständnislos von mir wissen, und schon ging es los mit den Tritten. Inzwischen bin ich fast so weit, zu glauben, die ganze Sache könnte bloß eine harmlose Prüfung gewesen sein, eine kultische Rauferei, die manch einer als Initiierungsritual werten würde. Damals jedoch war ich bibeltreuer Christ und verstand mich weder auf heidnische Riten, noch auf Gewalt allgemein, und so führten die Tritte mit kniehohem Schuhwerk ("Nuttenstiefel", rief einer, der von außen zusah) schließlich dazu, dass ich zu heulen anfing. Warum ich flenne, wollte eine wissen, “war doch nur Spaß”, sagte eine andere, aber sie ließen von mir ab, immerhin. “Mädchen, Mädchen!”, rief der außenstehende Schuhkenner mir entgegen und wurde mit Tritten verscheucht. “Warum du heulst, hab ich gefragt”. Na, jetzt aber besser nicht das Falsche sagen. “Immer wenn mich jemand tritt”, erfand ich also, denn ich war vielleicht eine Heulsuse aber nicht auf den Mund gefallen, “muss ich an meinen kleinen Bruder denken, der gestorben ist, als ich vier war”. Das stimmte tatsächlich, dass mein Bruder gestorben war, dass er mir jedoch ausgerechnet immer dann einfiel, wenn die Absätze von sogenannten Nuttenstiefeln auf mich herniedergingen, war unschwer erkennbar frei erfunden. Aber die Stiefelträgerinnen waren überzeugt und traten nie wieder nach mir, denn der Tod ist noch furchteinflößender, wenn man es nur von ihm flüstern gehört hat, als er ist, wenn er wirklich mal zu Besuch kam. An diesem Tag habe ich drei Lektionen gelernt: Erstens, dass ich auf kurz oder lang an der Sinnhaftigkeit meiner Geschichten arbeiten muss. Zweitens, dass fehlende Etikette bei Tisch kein gutes Thema für ein erstes Kennenlernen ist. Drittens, dass meine Verletzlichkeit manchmal der stärkste Panzer gegen Angriffe sein kann. Oder? Oder nicht? Hatten mich denn nicht der Mut, meine Trauer offen zu benennen, meine offene Brust und meine Tränen vor der Gewalt der wildgewordenen Hühner bewahrt? Ich weiß es nicht. Ich würde es gerne glauben, wirklich, denn das würde vieles vereinfachen und sich außerdem zur Freude von Tanten und Verwandten bei Familientreffen vorlesen lassen wie die Sprüche in einem kitschigen Motivkalender. So einen könnte man dann allen Unterdrückten und Außenseitern da draußen schenken, und vorbei wäre das Elend in der Welt und an den Bildungseinrichtungen, Kalender sei Dank. Januar: Zeig deinem Feind, 

dass du bluten kannst, dann wird dich sein Messer verschonen. Rührend, nicht wahr? Aber machen wir uns nichts vor, der Ratschlag wäre genau so nützlich wie ein Arschloch am Ellbogen. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich einfach Glück, als mein zusammenhanglos hervorgebrachter Exkurs in meine Familiengeschichte die Herzen der Tretenden um mich herum erweichte. Da musste ich einfach zufällig einen Nerv getroffen haben, so wie man manchmal zufällig im Urlaub einen alten Freund trifft. Dass ich in den Jahren, die folgten, nicht noch einmal Opfer von Spott und Häme wurde, sondern Klassenclown, Klassensprecher und Klassenbester, lag auch nicht daran, dass ich die Angriffe durch andere Heranwachsende mit Berichten über Liebeskummer, meine überstanden Windpockeninfektion oder verstorbene Zierfische erfolgreich in empathische Zuneigung verwandelt hätte. Man ließ mich nicht in Ruhe, weil man Mitleid mit mir hatte, sondern deshalb, weil man sich vor mir fürchtete. Über die Jahre gelang es mir nämlich, mich an das begehrtere Ende der normalverteilen Kurve zu arbeiten, indem ich andere bei Seite schubste und rücksichtslos über alle hinwegtrampelte, die nicht schnell genug den Weg frei machten. Denn, und das begriff ich bereits auf der ersten Busfahrt zur Schule, das eine Extrem brauchte stets das andere: Wer eine leere Dose Fanta werfen wollte, brauchte einen blondierten Kopf, den er damit treffen konnte. Einmal band ich ein Mädchen, das verspottet wurde, weil es an Panikattacken litt, im Bus nach Hause heimlich mit den Kordeln ihres Anoraks an den Haltegriffen fest. Als wir alle am Ziel ausstiegen, die Rucksäcke griffen und lachten und man mir zur geglückten Missetat auf die Schulter klopfte, sah ich das Mädchen noch kurz an den Bändern zerren, die Augen weit aufgerissen, hörte ich noch kurz den raschelnden Anorakstoff reißen, hörte ich sie noch kurz hinter der sich schließenden Tür hysterische Schreie ausstoßen wie ein sterbendes Tier. Sie musste bis zur Endstation fahren, dort schnitt der Busfahrer sie los. Das war fast dreißig Kilometer entfernt, und bis zu den Ferien kam sie nicht zur Schule. Ich hatte also nicht bloß das Prinzip Beobachten und Bewerten meisterhaft verinnerlicht, ich sorgte auch dafür, dass die Beliebtheitsskurve normalverteilt blieb, mit den vielen, die man ignorierte, in der Mitte zwischen denen, die auffielen, weil sie quälten, links und denen, die auffielen, weil sie litten, rechts. Erst eine Woche vor meinem Abschluss verschwand meine sklavische Anbiederung an dieses System ebenso wie sie gekommen war: Schnell und auf einer Busfahrt zur Schule. Auf den hinteren Sitzreihen wurde an diesem Morgen getuschelt, und zwar über Anna-Lena, was zunächst einmal nicht ungewöhnlich war. Anna-Lena war die sechstjüngste Tochter einer stadtbekannten Familie, die ihren fragwürdigen Ruhm dadurch erlangt hatte, dass alle Familienmitglieder dick waren und beide Eltern arbeitssuchend. Besprochen wurden darum täglich der vermeintliche Gestank des Mädchens und ihrer Geschwister, man überlegte lautstark, ob sie noch fetter geworden sei, welche ihrer Schwestern als nächstes "werfen" oder "kalben" würde und in welchem Discounter man mit so wenig Geld so viel Essen kaufen konnte. Heute aber wurde es ruhig, als sie an ihrer Bushaltestelle einstieg und sich im Eiltempo zwischen zwei stehenden Achtklässlern versteckte. Der Grund dafür war allen bekannt - Wir kamen aus einer Kleinstadt, da dauerte es nicht lange, bis sich Dinge herumsprachen, vor allem, wenn es um bahnbrechende Ereignisse wie den Tod ging. "Ey, Anna-Lena", brüllte da trotzdem mein Sitznachbar. "Woran ist deine Mutter eigentlich verreckt?" Das löste den Knoten. "Bestimmt geplatzt!", schaltete sich ein Mädchen eine Reihe weiter vorne ein. Und das war der Moment. Es war, als würde ich aufwachen. Vielleicht, weil ich mich daran erinnerte, wie der Tod meines Bruders mich irgendwann einmal geschützt hatte, als ich unverschuldet zwischen tretenden Stiefeln gelandet war. 

Vielleicht, weil mir aufging, dass ich all diese Jahre lang gedacht hatte, es gäbe immer und für jeden eine natürliche Grenze bei dieser Schikane, einen Punkt, an dem jemand genug Blut gespuckt hatte, und man aufhörte, auf ihn einzutreten. Gab es nicht. Ich hatte einfach Glück gehabt und Anna-Lena hatte Pech, denn manche glaubten auch zwei Wochen vor ihrem Schulabschluss noch an das System und daran, sich ihre Position auf der Gewinnerseite durch Tritte nach unten verdienen zu müssen. "Haltet die Fresse", hörte ich mich sagen. Ich war aufgestanden und unter mir erstarb das Gelächter. "Das reicht jetzt. Es reicht einfach." Und um mich herum begann sich die Welt zu bewegen, unter meinen Füßen verschob sich die X-Achse und ich verschwand aus dem Extrem, versank in der grauen Masse aus angehenden Bankkaufmännern und Steuerfachangestellten und für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich sie sehen, alle, wie sie Zeugnisse nach Hause brachten und träumten und Hoffnungen hatten, Sänger sein wollten oder Tierpfleger, und wie sie Schläge einsteckten, wenn sie versagten, wie sie sich in den Schlaf weinten und ihren Geburtstag mit echten Freunden feierten, wie sie mit der ganzen Familie vor dem Fernseher saßen, auch wenn die Familie nur eine Mutter war, und für einen Moment kannte ich ihre Namen und wusste, sie kennen meinen und ich sah die anderen hinter der grauen Masse und auch die sie hatten Namen und es waren dieselben wie unseren und dann fiel ich von der Achse und an mir vorbei zogen Karokästchen, alle zur vollkommener Gleichheit genormt, sie rasten an mir vorbei und verschwammen zu Grau und ich fiel und ich war frei.

Anklagebank

v. Emina Serdarevic


Vor Gericht
wird nicht
immer
gerecht
gerichtet.
 

Ich wär‘ gern
mit dir zusammen,
du sagst,
du wärst es auch gern,
doch auch,
dass du‘s nicht kannst,
es nicht geht
und ich es nicht versteh‘.

Ich seh‘
dein Herz brechen,
obgleich da kein See
an Tränen ist,
keine einzige
verlässt dein Augenlid,
ich spüre nur die Splitter,
sie bohren sich
in meines.

Du sitzt auf der Anklagebank.
Vor dir Menschen, die du liebst,
aufgereiht, streng und böse blickend,
du machst dich klein, erstickend
bleibst und bist eh allein.

Du sitzt zwischen zwei Stühlen eingezwängt,
in die Ecke der Anklagebank gedrängt,
ritzt Kerben in die Sitzflächen
und anklagende Fragen in dein Herz.

Warum bin ich so
und nicht anders?
Warum tut’s weh, wo
es nicht sollte,
wo Liebe doch eigentlich
heilen sollte,
fühle Dinge, die ich nicht wollte,
reihe mich in die Reihe der ungeraden
Zahlen, während gerade
doch das Schöne ist, oder nicht?

 

Anklage?
Lieben!
Wen?
Ein Mädchen!
(mich)
Als Mädchen?
-
Schuldspruch!
 

Ihn zu lieben
wäre recht,
doch auch
unecht.
Es nicht zu tun
wär‘ schlimmer,
wäre schlecht.
Ist es nicht mein
gutes Recht
(sie) zu lieben,
ganz einfach, echt,
oder werden
Gefühle
aus meinem
Inneren
ungefragt
vertrieben?

 

Eigentlich war’s mal
wir gegen den Rest
der Welt, doch wie
sollen wir kämpfen
oder leben, wenn man
uns nicht lieben lässt?

An den Rand gedrängt,
wahre Gefühle verdrängt,
andere vorgespielt,
um hineinzupassen,
nicht verdrängt zu werden,
um es selbst zu schaffen,
statt zum „Richtigen“
gedrängt zu werden,
denn das eine ist falsch
und das andere nicht, ganz
selbstverständlich und natürlich.

An der Außenseite stehend
ist es oft schwer zu verstehen,
wie man falsch und richtig unterscheidet,
den einen oder anderen für das
bloße Sein meidet.

Bis man
irgendwann
in abgrundtiefe Tiefen fällt,
nicht mal mehr
an den Rand wird gestellt,
denn dann wird man
endgültig verdrängt
und verstoßen.
 

Ich sitze zwischen zwei Stühlen
und beiden fehlt ein Bein.

Instabil
- Inneres
destabilisiert,
Liebe
assoziiert
mit Regeln
und Recht.

Dein Herz bricht erneut,
nun in tausend Scherben,
doch die Splitter taten mehr weh
(sie kamen aus meinem).

Ich will nicht
Herzen (- deines)
brechen hören,
selbst zerbrechen,
möcht‘ bloß
bedingungslos
laufen und
lieben lernen,
statt das
Lieben
endgültig
zu verlernen.

Man hört es brechen,
dein Herz,
in tausend Scherben,
doch es tritt
kein neuer Schmerz
an die Oberfläche,
denn die Gewissheit,
das Bewusstsein,
die Realisation
und Realität 
des Randes,
der Außenseite,
seines – ihres – euren Hasses
waren tief im Inneren
immer schon
da.

@alles.aschk

 

"Ein Sitz kein Pss"

 

Ausländer im Schland

sind heilos unpünktlich

stehen auf mit der Sonne

beten den Mond an

primitive Melancholie

unter der Kuckucksuhr

DE ist farbenfrei seit 19 9 3

zumindestens zwischen 

kümmel/dunkel/schwarz

manchmal sind sie blond

das ist alles so faszinierend.

 

Ich bin faszinierend

höre ihnen doch zu

wir sind gleich Mensch

alles das Gleiche mensch

du wartest nicht mehr

auf den richtigen Zeitpunkt

meine Liebe bleibt irdisch

die Einbürgerung kritisch

keine Magie und nichts

 

wir sind nicht gleich

 

ich bin untröstlich.

(All)ein(samkeit)

von Karo Matzinger

@caro_matz

Sie sitzt immer

allein im Bus

Mama sagt,

dass sie Freunde finden muss

 

Mama versteht nicht,

dass sie’s versucht

aber dass halt keiner

das Gespräch mit ihr sucht

 

Und Mama versteht nicht,

dass sie lieber tagelang im Bett liegt

und manchmal hat sie das Gefühl,

dass Mama sie gar nicht liebt

 

Weil sie immer schon

das schwarze Schaf war

und das sagt man ihr

klipp und klar

 

Zu oft

zu viel 

niemand hat bemerkt,

dass das schwarze Schaf

in ein schwarzes Loch fiel

 

Innen so schwarz wurde

so ungut

so dunkel

wie das getrocknete Blut

Sie ist so

unendlich erschöpft

längst haben die schiefen Blicke

ihr Selbstvertrauen geköpft

 

Sie tut,

als wär alles gut

trifft sie gar nicht,

wieso auch?

 

Sie sitzt immer

allein in ihrem Zimmer

die Leere in ihr

wird immer

und immer

und immer

schlimmer

 

Sie hasst es,

dass sie die Partnerarbeiten

jedes Mal mit der Lehrerin macht

und dass man im Gang

über sie lacht

 

Eigentlich

hasst sie viel mehr

sich 

 

Und sie fragt sich,

ob es je wirklich gut wird

ob sie jemals jemand mögen wird

oder ob die Freunde erst kommen,

wenn man stirbt

Aussteiger (+ Foto)

@Saliha_Soylu

Du sitzt auf dem Boden und sprichst mit dir selbst, deine Gesten aggressiv, Narben an deinen Armen, Schmutz unter den Nägeln, die Menschen rücken von dir weg.

Ist es komisch, dass ich deine Geschichte wissen will, dass ich dein Zuhörer sein will, dass ich drauf und dran bin dich anzusprechen, dass ich an deinem Leben teilhaben will und sei es nur, um dich besser zu verstehen, deine Perspektive einzunehmen, dich nicht vorschnell abzustempeln?

Ich bin sicher, du hast was zu sagen, und ich will wissen, was.
Vielleicht sind wir uns ähnlicher als auf den ersten Blick.
Zumindest sind wir beide schon mal – Menschen.

 

Out of Norm (+ Foto)

Ich frage mich, ob sie es nicht merken, wie sie mich anstarren. Ich jedenfalls bemerke es. Zutiefst.

 

ohne titel

Ein ganzer Strand voller barbusiger Frauen und die Einzige, die dumm angemacht wird, ist die Muslima im Burkini.

Ich blicke auf mich und sehe…

von Melis @zumirselbstfindung

 

...einen Menschen.

 

Fragen in meinem Kopf, 

die unbeantwortet bleiben.

Antworten, zu viele Antworten, 

die in meinem Kopf umherschwirren.

 

Ich versuche einige dieser Antworten 

mit meinen Händen einzufangen und scheitere.

Sie sind zu schnell, 

entweichen mir. 

 

Antworten oder keine, 

die ich mir selbst zurecht lege.

Antworten, beeinflusst von der Außenwelt.

Beeinflusst von meiner Innenwelt.

Wer garantiert mir, dass diese richtig sind?

Dass sie meine eigenen sind?

 

Resilienz.

Ja, du musst resilient sein.

Nein, musst du nicht.

Muss ich das aushalten können?

 

Fragen, die unbeantwortet bleiben.


 

Ich blicke auf mich und sehe…

 

...eine Außenseiterin.

 

Ich bin hier nicht ganz richtig.

Oder doch?

 

Muss ich sein, wie andere mich haben wollen?

Darf ich sein, wer ich bin?

Bin ich die, die ich sein will

oder bin ich die, die diese Welt aus mir gemacht hat?

 

Formen.

Geformt werden von Menschen,

von Erzählungen,

von Gedanken

und Erfahrungen.

Ich werde geformt und forme.

Forme mich und andere.

 

Losgelöst von allen Erwartungen,

von allen Einflüssen.

Ist das möglich?

Ist ein Leben möglich, das allein mir gehört?

Ein Leben, unberührt, ganz meins.

 

Mein Leben.

 

Wer ist dieser Mensch frage ich mich, 

während ich am Seitenrand stehe und 

auf einen Menschen blicke, der seinen Platz

nicht gefunden hat.

Noch nicht.

 

Der Seitenrand.

Ich stehe hier und blicke auf...

 

...mich.

Auf einen Menschen, der nicht gefunden hat,

wonach er sucht.

Noch nicht.

Wonach suche ich?

Ich suche nichts und doch so vieles.

 

Die Suche nach mir selbst.

Ich suche mich. 

Mal finde ich mich,

mal verliere ich mich.

 

Ich bin hier, 

nein, ich bin es nicht.

Ich möchte sein,

vollkommen.

Ich selbst.

 

Der Seitenrand.

Vom Seitenrand aus blicke ich auf mich,

auf meine Träume,

meine Gedanken.

Auf das, was ich sein will, aber nicht bin.

 

Die Außenseite, mein Zuhaus.

Von hier aus blicke ich auf mich,

auf den Menschen, 

der sein möchte und

nicht ist.

 

Ich blicke auf einen Menschen,

dessen Innenleben Heimat ist für 

Gedanken, Träume und Pläne

jeglicher Art.

 

Sie bleiben innen.

Gelangen nicht nach außen.

Mein Innenleben,

weit weg vom Außenleben.

 

So sehe ich mein Leben in meinem Kopf

an mir vorbeiziehen.

 

Mein Leben, das nicht ist.

Mein Leben, das ist.

 

Doch blicke ich vom Seitenrand aus darauf.

Die Außenseite, hier stehe ich und blicke auf mich.

 

Wann, frage ich mich?

Wann verlasse ich sie und 

fange an zu sein?

Außenseiter 

von Atilla B. Tatveren

“Ich bin Deutscher.” 

Deutsche: “Du bist Türke!” 

“Ich bin Türke.” 

Türken: “Du bist Deutscher!” 

Sie nennen mich “Deutschtürke”, 

doch für sie 

bin ich weder Deutscher, 

noch Türke. 

Ich bin immer und überall 

Außenseiter. 

Ein Portrait der Künstlerin als mittelalte Thekenkraft

von Katrin Krause

 

Die Barfrau Edda Schwerdtfeder ist ein schwieriges Weibsbild. Das finden jedenfalls

die Nachmittagstrinker, die sich nach Feierabend dringend irgendwo festhalten

gehen müssen. Mit der linken Hand halten sie ihre Betonköpfe über dem gemaserten

Tresen. Sie wollen den Aufprall verhindern. Mit der anderen Hand klammern sie sich

an gläserne Tulpen und Stangen und beschweren sich über zu viel und zu wenig

Schaum. Eigentlich würden sie sich viel lieber an Edda klammern.

Bringschnecke und Schankmoped rufen die Alfreds und Bodos nach ihr, lachen ihr

deftigstes Altherrenlachen und klopfen nach Zustimmung heischend auf den Tresen.

Aber das bringt Eddas Welt schon lange nicht mehr zum Erzittern. Stoisch bringt sie

mit Absicht zu viel oder zu wenig Schaum und kritzelt eine kleine Welt in das

Kellnerblockuniversum von Bitburger oder Heineken.

Früher hat sie einmal Kunst studiert, in Düsseldorf. Keiner hat es bezahlt, deswegen

hat sie es gelassen. Sie sollte sich einen richtigen Job suchen, sagte ihr Vater und

starb. Dann hat sie sich einmal kurz schrecklich verliebt und ist in dieser Kleinstadt

gelandet, von der niemand spricht. Deswegen soll ihr Name auch nicht genannt

werden. Es sei nur so viel gesagt: Es gibt hier einen historischen Marktplatz mit

Kopfsteinpflastern. So richtig wackelig und locker. Wie die Köpfe der Tresenhocker.

Manchmal kann man hier allzu Eilige stolpern sehen. Es gibt außerdem Gewässer

auf der Durchreise und ein paar im Sommer katholisch-transpirierende Gemäuer.

Man kann sich hier gemütlich auf eine Parkbank setzen. Gemütlich wird hier generell

großgeschrieben. Nur mit dem wieder Aufstehen wird es schwierig. Die Sitzfläche ist

niedrig. Die Kneipen schließen hier alle früh. Die Leute sollen zuhause saufen gehen.

Das Coupé hat unter der Woche immerhin bis drei Uhr auf. Am Wochenende

durchgehend. Für Edda ist das Coupé der zweitschlimmste Platz der Welt. Der

Schlimmste ist das Dorf, in dem sie ihre Mutter zurückgelassen hat. An beiden Orten

wird die Einsamkeit manchmal so laut, dass es in den Ohren knirscht.

Heute ist so ein knirschender Nachmittag. Zäh, wie der Baileys, der zu lange im zu

kalten Kühlschrank stand. Den billigen SPD-Werbegeschenks-Kugelschreiber hält

Edda in ihren langen Fingern. Heimlich ist sie ein bisschen in Kevin Kühnert verliebt.

Ihre Hände sind irgendwie transzendenter als ihr restlicher Körper. Der anthrazitfarbene Nagellack ist vom Spülwasser abgeblättert aber die Haare stehen

unter dem Band in züngelnden Flammen. Sie hat die Ruhe eines Renaissance-

Gemäldes. Ein Portrait der Künstlerin als mittelalte Thekenkraft.

"Machsmanochsuahns!"

Der Mann mit der absonderlichen Frisur klopft mit seinem leeren Weizenglas an und

hält Edda die Öffnung hin. Man könnte denken, er hätte eine Glatze, aber im Profil

kann man seinen kleinen Jedi-Zopf im Nacken sehen. Jürgen, heißt er.

Edda bewegt sich nicht.

"Äh! Träumse?"

"Ich glaube schon", sagt Edda viel zu leise und schleicht auf Jürgen zu.

"Wovon denn? Von hübsche Kerls?"

"Ja, auch", ergibt sich Edda, der Einfachheit halber.

"Na die wirsse hier net finden."

"Ich weiß."

"Na dann is ja jut. Et is immer besser, sich von Anfang an keine Hoffnung zu

machen. De wirsja donnur enttäuscht. Machs mir en schönes Krönsche?"

"Ja, so ein schönes Krönchen wie immer."

"De bis mein Schatz."

Sie schlufft an den Zapfhahn und drückt den Hebel durch. Aggressiv befüllt sich das

Glas mit Schaum.

"Na na na, nit su vel Krönsche."

"War ein Versehen."

Edda wartet ab, bis sich das Krönchenproblem von alleine löst und sucht nach einer

Playlist auf Spotify. Sie findet eine mit vielen Hildegard Knef Songs. Das ist gut,

findet sie. Man hört die schmatzenden und schnalzenden Suffgeräusche nicht mehr

so und eine Frau sagt hier endlich mal laut was sie zu sagen hat. Vielleicht sind die

Männer dann genervt und verschwinden schneller.

"Hasse nix von de Stones?"

Ein Honecker in Lederjacke meldet sich zu Wort.

"Leider gibt es die nicht im Internet."

"Asu, ja dann net."

Edda schmunzelt in sich rein, stellt das frisch gezapfte Weizenbier bei seinem

Besitzer ab und stellt sich wieder vor ihre Zettel, die mittlerweile liebevoll und

detailreich von floralen Ornamenten umrankt sind. Der Mittelpunkt ihrer Zeichnungen

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bleibt leer. Immer von Außen nach Innen. Und dann doch wieder nur Leere. Wie auf

der Leinwand, in ihrer Wohnung, über dem Coupé. Als Mahnmal hängt sie dort,

genauso weiß, wie sie beim Einzug war. Na ja, vielleicht nicht ganz so weiß, denkt

Edda. Vielleicht hat das Nikotin sie mittlerweile ein bisschen eingefärbt. Eigentlich ein

interessanter Versuch. So lange mit der Leinwand leben, bis sich Teile deines

Lebens darauf abzeichnen. Edda überlegt, was sich in einem ganzen

Menschenleben noch so alles auf Leinwand drücken ließe und kommt nur bis zur

Nabelschnur.

Sie wird unterbrochen von einem überschw.nglichen Lachen. Von wildem

Quatschen und Prahlemanns Tönen. Die Schwingtüren des Coupés platzen auf wie

in einem Saloon. Die lila Ufo-Lampen, die von der Decke baumeln, pendeln und ein

Schwall junger Leute erbricht sich in den Eingangsbereich. Eine klebrige Masse aus

Underdogs. Da ist zum Beispiel ein Boy, der einen Ohrring trägt wie ein anderer Boy,

der George heißt. Mit seinem Culture Club schlendert er lässig zum Tresen.

Er wird flankiert von einem zierlichen Girl mit massiven Dreadlocks und einer sehr

schönen Frau mit atemberaubender Stirnschlucht und Rosentattoo. Dem Girl ist er

zugeneigter, die Frau ist ihm zugeneigter. Die drei sind Truffauts Catherine, Jules

und Jim - aber in andersrum. Das kann man sehen.

Hinter der Ménage-à-trois stolpert der Pöbel zu seinen Plätzen. Ein Shorty mit

Longboard, Super Mario und Luigi mit dunklen Pilotenbrillen, ein Slim Shady in

ausgeblichenem Slayer-Shirt und ein jugendlicher Yoga-Lehrer mit zerwuseltem

Kopf- und Brusthaar.

Sie setzen sich an die Theke. Das haben die Jungen von den Alten gelernt. Wer was

gelten will, muss einen Tresenplatz haben. In der Kneipe und im Leben.

"Hey Edda. Machst du uns bitte eine Runde Berliner Luft? Dankeschön."

Der Ton von Boy George ist der, den höhere Söhne bei Bewerbungsgesprächen

haben, die ihre Väter für sie klargemacht haben.

Wie schmierig, denkt Edda. Und: "War ja klar, dass die sich direkt mit Berliner Luft

besaufen. Unsere Luft hier reicht denen wohl nicht." Lächelnd stellt sie den ungefähr

Gleichaltrigen ein klebriges Tablett mit acht ungleich befüllten Shot-Gläsern hin.

"Mach uns direkt noch so eins."

Slim Shady hält Höflichkeit für ein outdated concept.

"Und Pils für alle."

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"Ich nehme ein Radler"

"Ich auch."

Die Mädchen wollen sich hydrieren und sprechen dann wild gestikulierend von

Brunnenbau in Afrika und Coca-Cola. Jedenfalls so lange bis sie ihr mit Sprite

gemischtes Bitburger bekommen. Dann halten sie sich genauso an ihren Gläsern

fest, wie die alten Männer, auf der anderen Seite des Tresens. Von dort aus haben

diese die Mädchen längst scheu im Blick.

"Wie war's denn eigentlich auf deinem Trip, Seb?"

"Schon cool. Also man merkt, dass die spanische Regierung alles dafür getan hat

den Weg wieder sicherer zu machen. Alles ist voll Holzplanken, Sicherheitsleinen

und Maschendraht. Aber Schiss hatte ich schon."

Der gibt das nicht zu, der gibt an, denkt Edda.

"Wo warst du denn eigentlich den ganzen Sommer über?"

Seb und das Dreadlock-Girl scheinen sich nicht besonders gut zu kennen.

"Auf dem Caminito del Rey."

"Oh cool, davon habe ich schon mal gehört. In irgendeiner Top100-Show. Ist das

nicht der gefährlichste Wanderweg Europas?"

"Jip."

"Ich war vor zwei Jahren bei den Elephant Falls in Vietnam wandern. Das war auch

schon heavy."

"Boah, dieses Wandern ist ja nichts für mich."

Boy George unterbricht seine Liebste.

"Wisst ihr, was ihr mal unbedingt machen müsst?"

Alle schweigen und gucken den von sich selbst faszinierten Redner mit leicht

geöffneten Mündern an.

"In Swapokmund in Namibia kann man einen Fallschirmsprung aus 3000 Metern

Höhe machen. Da rauschen dir die Ohren, so pumpt das Adrenalin und dann auch

noch diese tolle Aussicht über die Namib-Wüste, you won't forget, I promise."

"Hast du das denn schon gemacht?"

Sägt Slim Shady da gerade an dem Thron des Königs?

"Nein, leider nicht. Aber es steht ganz oben auf meiner To-Do Liste."

Edda kichert in den Schrank, in den sie die Gläser einräumt. Ja, sie sind intensive

Menschen, Boy George und Slim Shady, denkt sie. Das Leben als To-Do-Liste. So

geht es dann weiter. Einer hat etwas gemacht, ein anderer hat etwas "krasseres",

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oder "heftigeres" gemacht. Pausenlos werden mit lauter vor Stolz platzenden Herzen

Alltags-Intensitäten besprochen. Ein Kick jagt den nächsten. Ein Kick gleicht dem

nächsten. Es ist wie bei Scientology, sie schreiten immer weiter vor in den Ebenen

des Erlebens. In Eddas Brustkorb wird es vor Übersättigung immer schwerer und sie

beschließt die Kinder auf stumm zu schalten. Edda war noch nie im Urlaub. Eddas

Eltern waren auch nie im Urlaub. Sie denkt an ihre Mutter. Agnes Schwerdtfeder ist

eine niedergedrückte Frau mit Buckel, die immer viel mehr für die nächste Welt

gelebt hat, als für diese. Diese jungen Menschen leben ausschließlich für diese,

denkt Edda und weiß nicht was sie schlimmer findet.

Vor der Tür scheppert's. Die Underdogs und die Altherrenfraktion drehen sich zum

Fenster. Da kommt ein merkwürdiger Typ mit einer rumpeligen Fahrradkarawane. Es

ist ein Lastenrad mit Anhänger. Also Stauraum vorne und hinten. Und alles ist voll

mit Lasten und Anhang. Der Fahrer ist ein anämischer, mittelalter Typ mit Bogart-Hut

– ephemer irgendwie. Edda hofft, dass er reinkommt, damit sie besser gucken kann

und sie hat Glück. Der bleiche Schatten schleicht durch die Saloontür, die diesmal

kaum schwingt. Er setzt sich auch an die Theke – auf den letzten freien Platz. Wenn

man alleine ist, ist das nämlich der beste Platz.

"Einen Kaffee bitte – schwarz."

Edda ist enttäuscht. Normalerweise reden solche Nomaden mehr.

"Wo kommst du denn gerade her?"

Vielleicht ist er das Sprechen nur nicht mehr gewohnt, oder er ist schüchtern, denkt

sie.

"Ich bin Künstler", sagt er.

Plötzlich schämt sie sich.

"Was machst du denn für Kunst?"

"Skulpturen."

"Oh."

"Ja."

"Aus was für Materialien?"

"Alles was ich auf den Straßen und Feldwegen in Deutschland finde. Siehst du mein

Fahrrad da draußen?"

"Ja."

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"Damit sammle ich alles ein. Die Inspiration liegt oft auf der Straße. Kennst du Marios

Escobar?"

"Ja."

Er guckt sie erst erstaunt, dann ungläubig an. Das hätte er von einer Kellnerin nicht

erwartet.

"Na ja, sowas ähnliches mache ich halt. Und du? Interessierst du dich für Kunst?"

"Manchmal."

"Aber wenn du Escobar kennst, musst du ja schon tief in die Materie eingedrungen

sein."

"Ich lese manchmal gern was über Künstler."

"Soso. Wer ist denn dein Lieblingskünstler?"

Edda fühlt sich getestet und das wird sie auch. Der Mann mit den bläulichschimmernden

Bartstoppeln lächelt sie herausfordernd an.

"Ich mag Rosemarie Trockel", sagt Edda kleinlauter als sie das geplant hatte.

Weniger trotzig als noch in ihren Gedanken.

"Ah, Frauenzimmerkunst aus der Düsseldorfer Fraktion", sagt der Blaubart.

Edda schämt sich und wird gleichzeitig wütend.

"Du weißt aber schon, dass die Malerei tot ist."

"Wie oft war die Malerei schon tot?"

Der Künstler lacht.

"Du gefällst mir. Hast du nicht Lust nach Feierabend noch was mit mir trinken zu

gehen? Ich habe mich auf meinen Reisen lange nicht mehr gut unterhalten können.

Auf diese eine bestimmte Art. Du weißt schon. Mit Funkeln in den Augen und

hitzigen Gemütern."

Wie lange hat Edda Schwerdtfeder darauf gewartet. Dass jemand kommt und sie

genau das fragt. Sie hat sich vorgestellt bös' zu lächeln während ein Kneipenkopf auf

den Tresen kracht. Und wie dann das Schiff mit acht Segeln und fünfzig Kanonen mit

ihr entschwindet. Nachmittag für Nachmittag hat sie ihre Fluchtpläne geschmiedet.

Bier um Bier hat sie geplant ihr Herz noch einmal zu verschenken.

"Na, was ist? Hast du Lust?"

Jetzt ist es aber der Blaubart, der bös' lächelt.

"Leider kann ich heute nicht."

"Wieso nicht?"

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"Weil ich nicht will", sagt sie und das ist die Wahrheit. Sie möchte einfach nicht das

Schiff mit den fünfzig Kanonen besteigen und auch nicht den Künstler mit

brennendem Herzen die Dinge in Brand stecken lassen, die ihr schon lange heimlich

heilig sind. Es ist das mutigste, was die Barfrau seit langer Zeit getan hat. Die

Absage streichelt ihre tiefe und geschundene, halbverätzte Magengrube mehr, als

die Flucht es je gekonnt hätte.

"Kein Problem", sagt der Bogart-Hut-Träger, aber die gekränkten Augen im Schatten

unter der Krempe sagen etwas anderes. Er trinkt den Kaffee schnell und geht. Er ist

nicht gut darin die Stille auszuhalten. Edda ist darin die Beste.

Sie bringt Jürgen noch ein Weizen und geht zurück zu ihren Kritzeleien. Endlich füllt

sie die Mitte. Sie denkt an ihre Leinwand, in ihrer Wohnung, über dem Coupé, wie sie

darauf wartet, dass die Thekenkraft unten endlich Feierabend hat. Ab heute ist es

lauwarm in Edda Schwerdtfeder.

ohne titel

von Jacline

 

 

Immer dieses beissende verunsichernde Gefühl, lange trug ich es in mir. Beobachtete mich von aussen, bewertete meine Mimik, Gestik und Wortwahl. „So wirst du nie dazugehören!“ „Du Idiotin warum hast du das jetzt gesagt?!“ „Musste das jetzt wirklich sein?“ „Wieso kannst du nicht einmal cool sein?!“ Nie waren meine Worte die richtigen, mein Aussehen genügend, mein Auftreten erwünscht.

Ich war einfach komisch. Punkt.

Gehörte nicht dazu. Punkt.

War eine Aussenseiterin. Punkt.

Meine eigene Unsicherheit deformierte mich noch mehr. Fand mich selbst langweilig, uninteressant, hatte nichts zu erzählen und keine Hobbies. Wollte einer Gruppe dazugehören, dieser Gruppe. Sich selbst zu finden in einer Gruppe, in der Oberflächlichkeiten eine grosse Rolle spielen, ist zerstörerisch. Nicht zu merken, wie nichtig diese Sachen sind, ermüdend.

Die eigene Stimme im Kopf ist schlimmer als die von anderen, viel verletzender, stärker, lauter. Solange man sich selbst, seine Herkunft, seine Stimme, seine Fehler nicht akzeptiert, bleibt man immer ein Aussenseiter. Ein Aussenseiter des eigenen Ichs.

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