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BIBERJAGD FÜR AUSSTEIGER

Ein Besuch in Konin Żagański

von Katrin Krause

Es ist still in Konin Żagański, dem angeschlagenen Dörfchen hinter der polnischen

Grenze. Hier gibt es eine kleine Schule, einen Laden, in dem man pinke Paillettenhüte kaufen kann, Wurst, Medikamente und Bier, einen tristen Friedhof hinter einem schmutzig ausgeblichenem Kirchturm, dessen Gräber mit auffällig grell leuchtenden Blumenbouquets geschmückt sind. Es riecht nach verbranntem Holz und Waldluft. In einer Seitenstraße in einem unauffälligen alten Bauernhaus in der

Nähe des Bahnhofs lebt Irek Maksymowicz.

Sein Grundstück ist von beiden Seiten durch Transitverkehr begrenzt. Auf der einen Seite die Schienen, auf der anderen Seite die unebene Landstraße. Der kräftige Mann trägt einen schlohweißen Wikingerbart und seinen Bauch fest eingepackt in einer blauen Latzhose.

Gerade hält der 64-Jährige sein grün lackiertes Gartentor auf, macht eine einladende Geste

und heißt uns röhrend willkommen: “witamy”.

 

In seinem Garten reckt er uns zur

Begrüßung seine Faust entgegen.

Er trägt eine speckige blaue Kappe mit “Italia”-

Schriftzug über seinem weißen zum Zopf zusammengebundenen Haar. Dann zeigt er uns die Fläche hinter seinem Haus: Eine Mischung aus Garten, Idylle, Zwischenlager und Schrotthandel. Hier steht ein fahruntauglicher Mercedes, dort eine Armee Rasenmäher und von irgendwoher quatscht ein überdrehter

Radiomoderator auf voller Lautstärke.

Fragt man Irek nach den Rasenmähern und

ob sie noch funktionieren, antwortet er nur stumpf “manche” und dass man sechs

Rasenmäher gegen einen Trecker tauschen könne.

So macht er hier seine Geschäfte. Erst kauft er, dann tauscht er. “Kapitalismus trifft Kommunismus”, findet er. An seinem unruhigen Blick merkt man, dass er aber jetzt nicht über Rasenmäher reden möchte.

Er will etwas anderes zeigen.

Auf dem Weg durch das

Gartenkaleidoskop überqueren wir eine Insel, umgeben von Wasser, die hat Irek selbst gebaut: “Man muss Visionen haben im Leben”, bemerkt er. Und er hat noch mehr Visionen. Bald schon soll man nämlich mit einer selbstgebauten Seilbahn auf die eigene Insel fahren können.

Während Irek durch sein Reich führt knickt er hier und da ein paar Äste von Bäumen

und Sträuchern ab, befreit sie von Blättern und steckt sie in die Erde: “Wenn Gott will, wächst ein Baum oder ein Strauch daraus.”

Gott scheint Irek wohlgesonnen zu sein.

Überall sprießen kleine Bäume und Sträucher aus dem Boden. “Ich weiß, ich bin gesegnet”, antwortet Irek, ohne die Frage gehört zu haben.

 

Früher hat Irek in Dąbrowa Górnicza Sport studiert. Sein Schwerpunkt war der Alpin

Ski. Sogar das polnische Ski-Olympia Team hat der robuste Mann einmal trainiert. In seinem Outdoor-Zelt steht noch eine Sammlung aus Skiern – Head, Atomic Blizzard, Fischer-, die lauter von vergangenen Zeiten erzählen, als Irek selbst: “Aus den Skieren baue ich bald einen Zaun um Alaska”, erklärt er.

Alaska – das ist der Traum vom eigenen Wald, den er auf dem Feld gegenüber seines Hauses mit seiner Stiel- und Steckmethode angepflanzt hat. Den nennt er Alaska, weil “las” auf polnisch Wald heißt, sagt er und grinst verschmitzt.

Sein Gesicht ist dabei ganz hell.

Und zum anderen, weil er mal eine Dokumentation über Alaska auf dem Discovery Channel gesehen hat. Er war fasziniert, von der Wildheit, der Weite, der Freiheit und den

Baumhäusern der Jäger. Sein Blick ist jetzt entrückt: “So würde ich auch am liebsten

leben. Als Aussteiger in einem Baumhaus.”

Als Aussteiger in Alaska, seinem kleinen

selbstgepflanzten Alaska.

Den Traum vom Aussteigen hatte er nicht immer, erzählt er. In Dąbrowa Górnicza

hat er einmal als Hausmeister im Sports and Recreation Center angefangen und sich von dort aus hochgearbeitet bis er eine leitende Position inne hatte. Aber heute will er nicht mehr für das Schweinesystem arbeiten. „Ob Kapitalismus oder Kommunismus, ob Monarchie oder Demokratie, das ist egal. Man arbeitet immer bis

zum Tod“, erklärt er.

Und der wäre in Ireks Fall beinahe viel zu früh gekommen. Nach seinem ersten Schlaganfall trat er von seiner Ganztagsstelle zurück.

„Der Ertrinkende hält sich notfalls an einem Rasiermesser fest“, nuschelt er ein polnisches

Sprichwort. Er wollte weniger Entscheidungen treffen, wollte raus aus dem Büro und

arbeitete nur noch halbtags. Nach seinem Herzinfarkt entschied er dann nie wieder zu arbeiten. Sich freistellen zu lassen, bis zur Rente. Diesen Antrag hat er gestern unterschrieben und schon heute fühlt er sich endlich frei, sagt er.

„Als Aussteiger, als Hippie.“ Wie die Jäger in Alaska.

 

Dann setzt sich der alte Mann auf seinen kleinen Trecker und ruft bestimmend, er müsse jetzt los, Biber jagen.

„Die bauen Dämme in der Nähe von meinem Alaska“, erklärt er. Dann fährt er los. Was er machen würde, wenn er wirklich einmal einen Biber sehen würde, weiß er noch nicht. Aber darum geht es ja auch nicht.

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