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ARRIVIST (Ein Auszug)

VON MIRJAM KAY MASHKOUR //

Büro


Besprechung im Verwaltungsgebäude für Wohnen, Soziales und Integration. Da sich mal wieder jemand aus dem fünften Stock in den Tod gestürzt hatte, sollte in Zukunft vermieden werden, dass Menschen überhaupt in eine solche Lage gerieten. Das Sozialamt würde in den ersten Stock umziehen.


Besetzung


Das Kloster umfasste fünftausend Quadratmeter, inklusive Garten, Wintergarten, einer Kapelle, Innenhof, Vorhof und einem Pfortenhaus, in dem Hausmeister Harald sein Werkzeug verwahrte. Das Gebäude war einst von der Kirche an einen Privatinvestor verkauft worden, dessen Immobilienfirma Dolphin Capital Group wenig später wegen Korruption liquidiert wurde. Während des langwierigen Gerichtsverfahrens wurde die Verantwortung für das Kloster einer Hamburger Insolvenzverwaltung übertragen. Die Stadt meldete zaghaftes Interesse an dem historischen Gebäude an, doch die Stadtkassen waren leer. Alles ausgegeben, um Parks durch Parkplätze zu ersetzen. Das Kloster begann, zu verfallen. Knack. Gemeinsam brachen zwei vermummte Gestalten das Schloss auf. 


Cool, Strom ging noch. Wasser lief auch. Erst einmal stoßlüften und Spinnweben entfernen. Tor- und Türschlösser wurden ausgetauscht. Wände neu verputzt. Sperrmüll und Spenden herangeschafft, um die Zimmer einzurichten. Die Besetzung reparierte Fenster, baute Hochbetten aus Holzpaletten, schrubbte die Küche und schaffte sich sogar eine Industrie-Spülmaschine an. Ein Umsonstladen voller gebrauchter Kleidung und Elektronik eröffnete bereits in der ersten Woche. Der Klostergarten wurde von wildem Gestrüpp befreit, man legte Gemüsebeete an. Bald wuchsen auch Cannabis und Schlafmohn im Wintergarten. 


Im ersten Plenum wurde beschlossen, die oberen Stockwerke als Wohnraum zu nutzen, das gesamte Erdgeschoss inklusive Garten öffentlich zugänglich zu machen und die Kellerräume von Asbest zu befreien, um darin Raves zu veranstalten. Nach zwei Wochen veröffentlichte die Besetzung eine Pressemitteilung, in der das Klostergelände zur autonomen Zone ausgerufen wurde. In einer Absichtserklärung formulierten die Autonomen und AnarchistInnen ihre Ideen eines freien Kulturszentrums, das sich durch Veranstaltungen und Getränkeverkäufe selbst finanzieren würde. Lexi hatte durch ihren Freundeskreis von der Besetzung erfahren, bevor die Pressemitteilung veröffentlicht wurde. Sie richtete sich im Wohnbereich des Klosters ein Atelier ein. Für den Fall, dass sie sich ihre Mietwohnung bald nicht mehr würde leisten können, spannte Lexi eine alte Hängematte zwischen den Dachbalken des Wintergartens auf. Das sollte als Übergangslösung bis zum Herbst reichen. 


[…]


Lexi erwachte aus einem kurzen Schlaf. Halb fünf. Eine unerträglich heiße Sommernacht. Ihre plötzliche Atemnot fühlte sich wie Ertrinken an. Sie hetzte mit Taschenlampe durch die schier endlosen Korridore und verließ das Kloster. Auf der Suche nach frischer Luft spazierte sie durch das Stadtviertel. Der Vollmond leuchtete orangerot und wirkte gigantisch. Fledermäuse flogen ihre letzten Runden vor Sonnenaufgang. Lexi blieb hin und wieder stehen, um zu staunen. Eine kleine dicke Katze schlich durch die Straßen. Skeptisch dreinschauende Vögel. Die Gegend war ruhig, hübsch und teuer. Es stank nach Schwefel. Heilsame Quellen unter der Erde ließen Dampfwolken aufsteigen, die wie Geister in den Nachthimmel hinaufschwebten.


In manchen Wohnungen brannte schon Licht. Oder noch. Fernseher flüsterten. Duschen rauschten. Raucher rauchten. Winzige Feueraugen auf Balkonen. Kaffeetassen klapperten. Pflegekräfte auf dem Weg zur Frühschicht. Im Hospital schrie ein Baby. Lexi schaute gerne in die Wohnungen mit warmem Licht. Dann fragte sie sich, ob es innen so harmonisch war, wie es nach außen hin schien. Ob es ein Zuhause war, in dem die Menschen einander liebten oder zumindest tolerierten. In diesen Momenten fühlte sie sich einsam. Sie hatte in vielen Mietwohnungen gelebt, in WG-Zimmern und Studentenwohnheimen, Kommunen und Ateliers. Doch das Kollektiv im Kloster war ihr Zuhause geworden. Ihr erstes Zuhause. Für wie lange noch? Man würde es ihnen nicht einfach so durchgehen lassen.

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