VON ROBIN ADRIEN SCHWARZ //

Die Welt ist des Wahnsinns und da ich Teil dieser Welt bin, muss auch ich es sein.
Das klingt zunächst wie eine sehr paradoxe Erkenntnis. Obschon das wiederum so klingt, als ob es Erkenntnisse gäbe, die paradoxer als andere wären, was natürlich der Definition des Wortes Paradoxon widerspricht. Entweder es ist, oder es ist nicht.
Sei es drum: Wer dem Wahn verfällt, weiss das doch nicht und kann das auch nicht wissen! Wenn er es wüsste, er würde etwas dagegen tun - und einfach nicht mehr wahnsinnig sein.
Ich glaube, es war Schopenhauer, der einmal schrieb: «Der Mensch kann zwar tun, was er will. Er kann aber nicht wollen, was er will».
Irgendwie scheint es mir aber einfach so, dass ich wahnsinnig werde und, dass ich dagegen kaum etwas unternehmen kann. Obwohl das gar nicht geht. Gleichzeitig dreht die Welt mit mir - ich mich um sie und sie sich um mich - in eine Spirale des Abstrusen.
Wann diese Spiralbewegung begonnen hat, weiss ich nicht und ich hege arge Zweifel darüber, ob sich das überhaupt sagen lässt, denn wer jemals eine Spirale gesehen hat, der weiss, dass der Anfang der Spiralbewegung aussieht, als käme er irgendwoher, als stamme er von einem unsichtbaren, jenseitigen Ort. Auf mich wirkt das deshalb eher wie eine falsch gestellte Frage, oder zumindest eine irrelevante, weil die Bewegung ja offensichtlich nicht aus einem Ort in der Zeit entsteht, sondern aus einer Kraft, der sie in Gang setzt. Es läge also nahe, zu vermuten, ich selber sei diese Kraft. Doch ohne «mich» kann ich auch nicht dem Wahn verfallen, das heisst, diese Kraft wurde schon viel früher in Gang gesetzt, vor meiner Geburt, nicht mit meiner Geburt, denn selbst hinter dieser Geburt steckt eine weitere und eine weitere und eine weitere. So detektivische Instinkte ich manchmal besitze, so sinnlos erscheinen sie mir hier zur Klärung dieser Ursrpungskraft. Selbst wenn ich sie fände, es änderte kaum etwas an meiner Empfindung. Und die ist, dass ich wahnsinnig werde.
Es bleibt mir darum nichts anderes übrig, als das lakonisch und interesselos festzustellen und davon zu erzählen, was ich hiermit zu tun gedenke beziehungsweise schon tue. Was auch immer das am Ende bedeutet, soll und kann nur der entscheiden, der es liest. Ich weiss es nämlich nicht.
Es begann alles - um mich einer Floskel zu bedienen, da der Satz, den ich eigentlich schreiben will, nicht

existiert - im Winter, so wie es jede gute Geschichte über Wahnsinn tut, wobei ich keineswegs damit sagen will, diese Geschichte sei gut. Sie ist einfach.
Die Summe von Ereignissen hatte mich in die Stadt verschlagen. Nicht in irgendeine Stadt, sondern in die Stadt, in der die, die in ihr leben, die Quintessenz der Stadt erkennen wollen. Es ist die städtigste Stadt, die es für sie gibt. Das scheint mir so etwas wie eine Definition von Heimat zu sein.
Jedenfalls verschlug es mich nicht an irgendein unbedeutendes, unbeachtetes Eck dieser Stadt, sondern dorthin, wo die Stadt zur Stadt wird, dorthin, wo alle Menschen mit ihrer Vorstellung des Inderstadtlebens zusammenkommen und so tun, als ob sie es gerade wirklich täten.
Ich weiss nicht, ob es hier einen Unterschied zwischen dem Sotunalsob und dem Wirklichtun gibt, aber ich vermute, dass das denen, die das hier lesen, vielleicht auch vollkommen egal ist. Dazu kann ich nur sagen, dass es mir nicht egal ist und, dass mich diese Frage manchmal bestenfalls nur plagt, schlimmstenfalls quält.
In diesem Stadtteil, in dem ich also für eine Weile wohnte - und diese Weile dauert im Moment, da ich hier schreibe, noch an - stand ein Bau, der schon mehrere fundamentale Wesensänderungen durchgemacht hat und ich schreibe hier «fundamental», obwohl mir bewusst ist, dass eine Wesensänderung per Definition fundamental sein muss. Ich will einfach nur die Dringlichkeit dieser Feststellung unterstreichen und zwar auch dann, wenn es eigentlich einfacher ginge als so, wie ich es gerade tue.
Dieser Bau, soweit ich weiss, fungierte einst, ganz seinem Standort gemäss, als Bordell. Je nach Erzählung ist das ein Jahrzehnt her, manchmal länger, manchmal kürzer. Da aber die Aufwertung der Stadt vor nichts Halt macht und der Kapitalismus auch das Schlimmste und selbst das, was sich gegen ihn selber richtet, zur Ware machen kann, zerstoben viele Dinge, die wir als Anrüchigkeiten begreifen unwiederbringlich oder versteckten und tarnten sich wenigstens.
Das Bordell sah sich also gezwungen, keines mehr zu sein und beherbergte bald neue Besitzer, die ihm dabei helfen sollten, etwas Anderes zu werden. Bitter nur, dass alles, was einst war, auf irgendeine Weise als Spur in diesem neuen Anderen erhalten bleibt, und sei es nur im Gleichklang der Worte, die das Alte und Neue bezeichnen.

Die neuen Besitzer waren deshalb bestrebt darauf, aus dem Bordell ein Hotel zu machen und die dubiosen zahlenden Gäste durch weniger dubiose zahlende Gäste zu ersetzen. Da das Hotel aber so erpicht auf die Selbstmetamorphose war, überstieg deren Geschwindigkeit wohl, ich kann es nur versuchen, abzuschätzen, bei weitem diejenige der städtischen Aufwertung. In gewisser Weise also existierte das Hotel damit in einer von ihm selbst fabulierten Zeit, die es so gar nicht gab und auch jetzt noch nicht gibt. Keine Überraschung, dass es aus diesem Grund sein so sehnlichst gewolltes Geschäft aufgeben und sich eine Alternative überlegen musste. Dinge, die ihrer Zeit voraus sind, funktionieren nie. Funktionieren sie dennoch, waren sie vermutlich doch nicht ihrer Zeit voraus. Diejenigen, die das hier lesen, sollen sich nur überlegen: Wenn an einer zwielichtigen Ecke einst ein Bordell stand, in dem man nur kurz absteigt, bleibt die Vermutung also irgendwie in der Luft hängen, dass auch ein Kurzbesuch in einem sich nun Hotel nennenden Gebäude, von gleicher Natur wie vorhin ist, egal, welche Absichten man kundtut, denn über Absichten kann man lügen - auch ein Gebäude kann das - und darum misstrauen sich alle Menschen gegenseitig, wenn einmal etwas geschieht, was sie nicht in ihre gewohnte Lebenswelt einbetten können, ohne, dass das Bett dann zusammenkrachen und eines Neuaufbaus bedürfen würde.
Die Lösung liegt daher in der Zeit verborgen und die Zeit muss demgemäss verlängert werden. Das geht nur, in dem das Hotel die Gäste dazu bewegen kann, länger zu bleiben. Also funktionierte es sich, wohl wieder mit neuen Besitzern, so genau weiss ich es nicht, zu einem nun ehemaligen Hotel um, das jetzt die Zimmer als Wohnungen anbietet, ganz klassisch, so, wie man es kennt.
Ich weiss nicht, weshalb ich diese Dinge so kompliziert erkläre, denn sie wären wohl in ein, zwei Sätzen sagbar und dennoch komme ich nicht um den Gedanken, dass das nicht das Gleiche wäre, denn sonst wäre ja dieser Text nur ein paar Sätze lang und nicht so lang, wie er es jetzt ist. Anders erklärt, das Wort «düster» bedeutet, glauben wir, dasselbe wie «finster». Wären das aber tatsächlich die gleichen Wörter, wären sie ein und dasselbe Wort mit denselben Buchstaben. Meine Vermutung ist darum, dass diese Wörter andere Bedeutungen entfalten können, je nachdem, wie sie gebraucht werden, und daher ist es weiterhin meine Vermutung, dass diese Geschichte nicht dieselbe ist, wenn sie in wenigen Sätzen verfasst wäre. Das klingt, so dargelegt, ganz und gar - und trotzdem nur irgendwie - banal und offensichtlich, ich kann aber nicht umhin, zu denken, dass das für mich, für mein Verständnis der Welt und für diese Geschichte, auf wundersame, vielleicht auch nur bizarre Weise signifika_t ist.
Wenn ich schon dabei bin, Dinge zu erklären respektive Dinge irgendwohin zu verörtern, möchte ich noch, obwohl es nicht (und irgendwie also doch) zur Geschichte gehört, sagen, dass der Titel bewusst gewählt ist und ich absichtlich nicht bereits in der Überschrift von einem Bordell gesprochen habe, weil sich damit von Beginn weg dieses fürchterlich klischeehafte Bild des randständigen Schriftstellers in den Köpfen derjenigen, die das lesen, manifestieren würde, und sich dadurch die ganze beabsichtigte Interesselosigkeit dieser Geschichte völlig verlöre, nein, auflöste. Auch wenn ich mir mit der Darlegung dieser Sache mein eigenes Ziel selbstverständlich komplett untergrabe, scheint es mir trotzdem nur nötig, dass ich all meine Gedanken offenlege, denn liesse ich sie einfach weg, würde ich mich augenscheinlich von einem Interesse leiten, das nicht die Interesselosigkeit ist. An dieser Stelle möchte ich deklarieren, dass Charles Bukowski in meinen Augen Schuld an diesem Klischee des randständigen Schriftstellers ist und, dass meine Angst, unter diesem Gesichtspunkt gelesen zu werden, auch wenn ich mich nicht als Schrifsteller bezeichnen würde, obschon ich hier eine Schrift stelle, daher kommt, dass Bukwoski über das Schreiben schrieb if it doesn’t come bursting out of you in spite of everything, don’t do it. unless it comes unasked out of your heart and your mind and your mouth and your gut, don’t do it.
und ich hier genau dieses ungefragte Schreiben voll - oder mindestens durchführe, und was ungefragt ist, das muss wohl auch interesselos sein. Mich und meine Geschichte deshalb so zu verstehen, ginge gegen die komplette Gleichgültigkeit dieser Erzählung. Eine Bitte an diejenigen, die das lesen: Bitte verstehen Sie diesen Hinweis auf Bukowski nicht als Befürwortung oder Liebeserklärung an Bukowski, es liegt mir nichts so fern wie für Irgendjemanden oder Irgendetwas Partei zu ergreifen und es zu bewerten und es mir zum Motiv meines eigenen Erzählens zu machen; ich beziehe mich lediglich auf Bukowski, weil ich mir seiner Existenz bewusst bin und mir diese von ihm geäusserte Ansicht über das Schreiben genauso gewahr ist, wie es das vielleicht auch denjenigen ist, die das hier lesen. Am besten vergessen Sie es also, aber es ist gut, dass sie es gelesen haben.
Also, ich zog in eines dieser Zimmer in diesem ehemaligen Hotel, und wie ich zu Beginn beschrieben habe, falls sie es bereits vergessen haben, war es damals Winter. Ich hatte nie einen richtigen Mietvertrag unterschrieben, was mir angesichts des fragwürdigen Rufs des Stadtteils wohl passend erschien und ich darum nicht bürokratisch intervenierte. Fügt man sich nicht in die Dinge ein, wie sie sind, verändert man sie noch mehr, als wenn man sich bloss einfügt - und ausweislich fügt man auch damit zumindest etwas ein, was bedeutet, dass trotzdem eine minimale Änderung stattfindet. Nicht, dass es grundsätzlich etwas gegen Veränderung einzuwenden gäbe, jedoch mag ich Dinge oft deshalb, weil sie so sind, wie sie sind, was heisst, dass sie keinerlei Veränderung bedürfen.

Dieses Zimmer und das kann als einer meiner vielen Fehler identifizierbar sein, wenn man denn nun möchte, war bereits ein wenig möbliert, unter anderem mit scheusslichen Hockern und ihren Bezügen, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus irgendeinem noch scheusslicheren Polyesterstoff gefertigt waren und ich sie deshalb sofort aus meinem Zimmer verbannte und in den - das möchte ich hinzufügen - sehr klinischen und ungastlichen Flur - stellte. Im Flur brennt immer die Sorte Licht, das niemanden anziehen, aber auch niemanden wirklich abschrecken will. Es ist die vermeintlich neutralste, uninteressanteste, harmloseste, nichtssagendste, bedeutungsunschwangerste Sorte Licht, die es nur geben kann. Ich könnte das hier als fatalen Fehler der Lichtinstallateure bezeichnen, denn mir scheint, dass genau diese Sorte Licht am Ende nicht für diesen unbedenklichen Eindruck sorgt, sondern im Gegenteil alle Menschen verscheucht. Wer vorgibt, nichts im Schilde zu führen, hat meistens das Gegenteil im Sinn und versteckt womöglich einen Dolch darin. Ich für meinen Teil fand das Licht ekelerregend, was diejenige, die diesen Bericht lesen,
nicht davon abhalten soll, sich eine andere Vorstellung dieses Lichts zu machen.
Nun, ich stellte also diese grässlichen Hocker in den Flur und ich, so glaube ich es, schuf damit eine Art Imbalance, die ja, wie eingangs dargelegt, vermutlich schon meiner Geburt und den Kräften davor zuzuschreiben sind. Mir ist es äusserst wichtig, dennoch klarzustellen, dass ich mich damit nicht irgendeiner Verantwortung entbinden will, sondern eher, dass ich mir meiner Verantwortung selber nicht so ganz sicher bin. Ich gestehe, dass zu einem Tatsachenbericht, so wie dieser einer ist, immer auch ein Warum und nicht nur ein Dass gehört und dass diejenigen, die diese Geschichte lesen, dieses Warum nicht für allzu voll nehmen mögen.
In der folgenden Zeit lebte ich also in diesem Zimmer und konnte aus meinem Fenster eine Kreuzung beobachten, auf der in der Nacht immer so allerhand geschieht. Das ist wohl, weil ohne Geschehnis die Stadt nicht mehr Stadt wäre, weil die Leute ja durch das Inderstadtleben-Tun die Stadt dazu machen, aber darüber sprach ich schon zu Beginn. Tatsächlich hört die Stadt auch in der Nacht nie auf so zu sein wie sie ist und das führte zu allerlei kuriosen Observationen, die aber nicht Teil dieser Geschichte, aber dennoch, und das ist wichtig, existent waren und sind.
Teile des Lebens bleiben immer so, wie sie immer waren. Es gibt wohl keine Form von Leben, die keine Hausarbeit verursacht, die Frage ist eher, wer die Hausarbeit erledigt. Da aber ein ehemaliges Hotel nicht mehr ein jetziges ist, musste ich meine Hausarbeiten selber erledigen. Ich tue das mit äusserster Widerwilligkeit, denn wenn ich zum Beispiel putze, dann tue ich das eigentlich, damit es sauber bleibt beziehungsweise, weil ich will, dass es sauber bleibt. Für Staub kann ich persönlich wirklich eher wenig, auch wenn Staub zu grossen Teilen Hautschuppen besteht, die sich natürlich dadurch, dass ich lebe, einfach so ergeben. Ich putze also, weil ich die Sauberkeitsveränderung durch das Nichtputzen nicht mag und ihr ihrerseits mit meiner Änderung entgegentreten muss. Das Putzenwollen ist also durch ein Muss bedingt. In einer Idealen Welt müsste man allerhöchstens einmal putzen und dann bliebe das so. Da das aber, und ich bin ja nicht verrückt, auch wenn ich damit diese Geschichte begonnen habe, nicht so ist, scheint mir die Vermutung naheliegend, dass etwas gegen dieses Ideal vorgeht, dass es eine Kraft gibt, die will, dass ich putzen muss.
Nun gibt es viele Kräfte auf der Welt, deren Sinn und Zweck uns verborgen bleibt, selbst wenn wir glauben, ihn gefunden zu haben, nur um festzustellen, dass wir damit auch nicht zufrieden sind. Es scheint mir also töricht, diese eine Kraft zu verteufeln, sondern einfach damit zu leben und mich ihr zu fügen. So schlimm ist das Putzen ja nicht, ich hoffe, das verstehen diejenigen, die diese Darlegung von Ereignissen lesen, nicht falsch.

Besonders in den eigenen vier Wänden war das Putzen überaus leicht, in diesem Zimmer in diesem ehemaligen Hotel. Ich war dabei stets alleine, unwissend, was in den anderen Zimmern vor sich geht, oder, was in diesem grässlichen Flur allzeit geschieht. Ich ging deshalb lange Zeit davon aus, dass dort alles so zu und her geht wie bei mir. Das ist die vernünftigste Annahme, die man über die nächste Umgebung treffen kann, sofern man nicht wahnsinnig werden will. Jedenfalls hat die Ansicht, es könne ja alles anders sein, noch nie jemandem wirklich geholfen, möchte ich argumentieren, obwohl natürlich auch diese Ansicht, wie jede Ansicht, seine Ausnahmen hat, je nach Kontext, in dem sie gehalten wird. Übersetzt: Es kann ja nicht immer alles kontingent sein, aber manchmal schon. Ich vermute, so könnte man Kontingenz jedenfalls definieren, wenn man es wollte.
Nach einer Weile schienen mir aber zweierlei Dinge suspekt zu werden. Oder eher: zwei Dinge waren dafür verantwortlich, dass ich begann, Verdächtigungen gegen das Haus und seine Bewohner aufzustellen. Ich sage das so, weil ich denke, dass Dinge ja nicht verursachen, dass einem andere Dinge sus