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Die große Geste


»Dieser verdammte Scheißfön ist absoluter Müll!«, schreie ich ein bisschen mein Spiegelbild, ein bisschen den verdammten Scheißfön und auch ein bisschen Matthias an. Er will gerade seine Zahnbürste einpacken.

»Was ist denn mit dem Fön?«


Ich winke ab. Zu erklären, dass der nicht heiß genug wird, um meine Haare in Form zu bringen und nicht kalt genug, um sie in der Form bleiben zu lassen, ist mir zu anstrengend. Und eigentlich ist es auch gar nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass ich nach dreieinhalb Jahren emotionalem Hin und Her eine Geste bekomme – eine Geste, die beweist, dass es ihm genauso geht wie mir, dass wir was Ernstes sind, dass ich mir uns nicht nur einbilde.


Das Hotelbadezimmer ist klein, er drängt sich an mir vorbei ans Waschbecken. »Bist du nervös?«

Mir ist speiübel. »Nein, wieso sollte ich?«, scheint mir aber die erwachsenere Reaktion darauf zu sein, »Schwiegereltern lieben mich!«


Immerhin ist das hier auf meinem Mist gewachsen. Vor drei Wochen fragte er mich nach einem Streit, wie er mir denn endlich zeigen könne, dass er es ernst meine mit mir. Ich wollte es wissen, also pokerte ich hoch: Seine Eltern wolle ich kennenlernen. Also eigentlich wollte ich das gar nicht und will es noch immer nicht – was mein Körper ganz offensichtlich mit einer schlaflosen Nacht, unbändigem Haar und Schwindel unterstreicht. Denn entgegen meiner eben ausgesprochenen Lüge, kann ich ganz und gar nicht gut mit Schwiegereltern. Aus irgendeinem mir noch nicht ergoogelbaren Grund werde ich dann nämlich plötzlich all die Dinge, die ich in einer Beziehung gar nicht sein will: anhänglich, häuslich, ich beginne Herbst-Deko zu basteln und verabrede mich mit meiner neuesten Schwiegermutter zum gemeinsamen Fußpflegetermin. Da kommt eins so schnell zum anderen, dass, bevor ich mich versehe, ich nicht mehr die bin, die ich zu Beginn sein wollte, und am Ende die Beziehungsreißleine ziehe, weil ich nicht weiß, wie ich sonst mein neues ungeliebtes Ich wieder loswerden soll. Und jetzt stehe ich hier, mit diesem Scheißfön in der Hand, und habe Angst, dass ich mir eine Geste gewünscht habe, die mich dazu zwingend wird, das zwischen Matthias und mir zu beenden.


Dabei bin ich mir so sicher wie nie, dass ich das zwischen Matthias und mir gar nicht beenden will. Ich will nur wissen, ob sich all die verheulten Sonntage und gelöschten Nachrichten und per Hand wieder eingetippten Ziffern wirklich gelohnt haben. Meine Freunde votieren für Nein, meine Mutter enthält sich der Stimme – was in der Regel ein diplomatisches Auf-gar-keinen-Fall bedeutet –, nur ich halte dreieinhalb Jahre dagegen. Denn wer würde sich dreieinhalb Jahre lang mit ein und derselben Person herumschlagen, wenn es unterm Strich nicht lohnenswert wäre? Auf diese Frage zucken meine Freunde dann mit den Schultern und bleiben trotzdem bei Nein, meine Mutter seufzt tief und sagt noch immer nichts.


Matthias hingegen kann gut mit Worten, so gut, dass er mir oft in den schönsten versichert, wie sehr es sich lohnt. Und ganz kurz glaube ich das dann auch – bis es zur nächsten emotionalen Talfahrt kommt und ich vor den zuckenden Schultern meiner Freunde stehe und, meiner Mutter gegenüber, zurückschweige. Doch das Taten mehr zählen als selbst die schönsten Worte, weiß auch Matthias. Also buchte er nach dem Streit ein Hotelzimmer in der Stadt seiner Eltern und mir einen Zug dorthin. Er selbst kam von einer Geschäftsreise.

»War doch gut, dass wir gestern Abend noch zu zweit hatten, oder?«, spricht er mein Spiegelbild über dem Waschbecken an, bevor er mich von hinten umarmt. Meine Bürste verheddert sich in meinem Haar und der Fön schaltet sich aufgrund von Überhitzung ab. Mein Magen ist zwischen Verliebtsein und Übelkeit hin und hergerissen, irgendwann vermischen sich beide Gefühle und ich muss mich seiner Umarmung entwinden, um das Fenster aufzumachen. Er küsst mich, will mich beruhigen und es funktioniert. Vielleicht ist es diesmal anders, für einen ganz kurzen Augenblick glaube ich daran. Und ich ergebe mich meinen Haaren.

Im Taxi brauche ich frische Luft, der Fahrtwind bläst mir schroff ins Gesicht. An meine Frisur muss ich eh nicht mehr denken. Dafür brechen die alten Ängste über mir ein.


»Nur noch drei Straßen, dann sind wir da«, Matthias küsst mich auf den Kopf.

Warum brauche ich eigentlich eine blöde Geste? Sind dreieinhalb Jahre denn nicht Beweis genug? Warum muss ich so paranoid sein? Sicher liegt alles an meinem Vater, der mich und meine Mutter kurz vor meiner Pubertät verlassen hat. Ich habe Bindungsängste, klar. Und die sind es auch, die mich Reißaus nehmen lassen, wenn es familiär wird. Aber muss ich mich denen wirklich heute stellen?


Ich lächle Matthias an. Er lächelt zurück. Wie bescheuert bin ich doch, so unsicher zu sein.

Wir biegen in die Straße seiner Eltern, in meinem Mund sammelt sich verdächtig viel Speichel. Ich nehme mir vor, nie wieder zu lügen, wenn dieser Tag vorbei ist.


»Da vorn am grünen Gartenzaun können Sie halten«, weist Matthias den Taxifahrer an.

Doch noch bevor wir den grünen Zaun erreichen, reiße ich die Tür auf und übergebe mich auf die Kopfsteinpflasterstraße.


Mit der linken Hand wische ich mir den Mund ab: »Ich will deine Familie gar nicht kennenlernen.«

Er schaut mich an: »Und ich will nicht mit dir zusammen sein.«



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