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Geschichtenhaut


Zeig mir deine Narben, sagst du und ich schlage die erste Seite auf.

Hundert Seiten Geschichte, oder mehr, vielleicht auch weniger, aber wer zählt, wenn es um die Zerbrechlichkeit des Lebens geht?

Alle sieben Jahre neue Haut, und doch arrangieren sich die Zellen so, dass sie bleiben, die Jahre oder Sekunden, die sich unter die Haut gegraben haben.

Meine Narben sind eine Sprache, stumm vielleicht, aber nicht wortlos und am Ende vor allem eins: schön.

Schön, weil sich das Überleben wie ein Silberstreif um die Gelenke windet und schön, weil die Lebendigkeit auf der Oberfläche feine Muster bildet und ungebrochen wispert: Ich bin noch da.

Narbenhaut ist Geschichtenhaut und ein bisschen wie ein Gästebucheintrag. Ich teile diesen Körper mit der Vergänglichkeit, der Schwerkraft und manchmal auch mit nebelgrauen Tagen. Sie alle lassen ihre Grüße da.

Meine Haut spricht mit mir und ich trage ihr Gedächtnis mit Ehrfurcht.

Meine Narbenhaut sagt: nichts prallt ab an mir, aber ich wachse.

Sie sagt: ich bin deine Schnittstelle, innen - außen. Hier sind wir verschmolzen. Du wirst nicht verschwinden.

Und immer wieder: ich bin noch hier.

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