VON SAMIRA SERVOS //
Ihr brombeerfarbener Fingernagel kratzt über die Klopapierrolle, während sie einen Anfang sucht. Der geöffnete Jeansrock rutscht an ihren Beinen hinab. Sie hebt ihn mit einem Bein an und befördert ihn in die Wäschetonne, während sie drei Stücke Klopapier abreißt. Dann steigt sie aus ihrer weißen Spitzenunterhose, reißt die Einlage heraus, legt sie auf das Papier in ihrer Hand, zieht an dem Faden zwischen ihren Beinen und begutachtet den Tampon (ein bisschen gelb, ein winziger Rest Braun), ehe sie es mit der Einlage zusammen einwickelt und in der kleinen Tonne neben der Toilette entsorgt. Aus der Duschkabine steigt Dampf. Sie öffnet die Kabinentür, hält eine Hand unter den Strahl und stellt die Temperatur noch ein wenig höher, dann streicht sie eine Falte auf dem Kleid glatt, das für später auf dem Beistelltisch bereitliegt. Daneben ihr Handy. Sie gibt ihren Code ein (der Geburtstag von irgendeinem Exfreund) und schaltet auf voller Lautstärke ihre Shower Playlist ein: viele rumänische und spanische Songs, noch mehr US-Pop aus den frühen 2000ern, ein Chanson von Édith Piaf (Es ist nicht “La Vie En Rose”, aber ich vergesse den Namen immer), “You Can’t Hurry Love” von den Supremes, ein bisschen Dua Lipa, etwas Eminem und alles von Billie Eilish.
Ich kratze mit einem eingerissenen Fingernagel über die Tapete an der Wand, die mich vom Badezimmer trennt, und lausche dem Beat eines Liedes, das ich nicht kenne, und dem Wasserrauschen. Ich kann die Hitze spüren, während sie in die enge Duschkabine steigt und die Tür wieder schließt, und mir wird etwas unwohl dabei (Ich dusche immer nur lauwarm). Wenn sie Musik anmacht, dann dauert es lange (“Sorry, ich habs eilig”, hat sie gesagt, während sie sich an mir vorbei ins Badezimmer gedrängt und mir die Tür vor der Nase zugeworfen hat). Ich drücke meine Stirn gegen die Tapete, während sie sich die Beine mit Rasieröl einreibt. Dann die Achseln und ein bisschen um den Bauchnabel herum (zwischen die Beine kommt das Intim-Gel von Balea, das ich ihr gestern von dm mitgebracht habe, weil sie es nicht rausgeschafft hat, nicht mal aus ihrem Zimmer, weil sie so viel gespürt hat und ununterbrochen Nachrichten schreiben und stampfend auf und ab laufen und telefonieren musste, und weil sie dann schwer und leer wurde, kurz bevor der dm geschlossen hatte). Sie steht neben dem Strahl und wäscht im Minutentakt die ölige Klinge unter ihm aus. Ihre Handrücken sind rot. Man kann fühlen, wie die Energie in ihren Körper zurückkehrt, während sie laut ihre Lieblingssongs mitsingt. Sie tanzt nur mit dem Oberkörper und sie singt schief und hoch zu Britneys “Toxic” und als sie mit Destiny’s Child über einen Typen klagt, der ihre Rechnungen nicht bezahlen kann, stolpert sie, aber findet noch Halt an der beschlagenen Kabinentür. Die Rasierklinge schabt über ihren Unterschenkel und sie flüstert: “Fuck” (nicht weil es wehtut, sondern weil das einen hässlichen Kratzer geben wird).
Dann macht sie weiter, als wäre nichts (Wenn mir das passiert, starre ich auf mein Bein, bis es zu bluten anfängt. Ich hoffe, dass ich mich doch nicht richtig geschnitten habe, und wenn dann das Brennen anfängt, springe ich aus der Dusche, schnappe mir ein Handtuch und wickle es mir ums Bein, ehe ich zurückgehe und mich abseife). Sie lächelt leicht und schließt die Augen für einen Moment. Sie greift hinter sich, um die Wassertemperatur doch etwas runterzudrehen und mir wird plötzlich brennend heiß. Ich beiße versehentlich ein Stückchen von meiner Unterlippe ab. Fuck. Ich fahre mit meiner Zunge über die offene Stelle, als sie den Rasierer weglegt und sich zu waschen beginnt.
Sie seift sich die Haare zum zweiten Mal ein, während das Wasser unter ihr gelb und rot wird und orange in den Abfluss läuft. Sie fängt an, den Oberkörper einzuseifen, beginnt bei den Schultern, die glatt und gebräunt sind, die Arme über Kreuz, fährt die Oberarme hinab, ganz glatt (“Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde”, hat sie mir geschrieben, als ich gestern drei Minuten vor Ladenschluss in endlos langen Schlange an der letzten geöffneten Kasse bei dm stand). Sie seift sich die vernarbten Unterarme ein, den Bauch, die Hüften, die Brüste.
Ich trete von der Wand zurück, schalte meine Bluetooth-Box ein und lege mich rücklings auf mein Bett. Irgendwas Ruhiges von Billie Eilish. Ich schließe die Augen und versuche, mich nur auf das Gefühl der Musik zu konzentrieren. Nicht auf die Lyrics (“I ate alone at seven, you were six minutes away”), nicht auf irgendwas sonst, ein bisschen auch auf den Bass aus dem Badezimmer vielleicht (Das Wasser ist nun aus). Auf gar keinen Fall achte ich auf ihre brombeerfarbenen Fingernägel, die sich gerade um ein blondes Härchen unter ihrer Nase schließen. Sie betrachtet sich im Spiegel über dem Waschbecken dabei, wie sie mit der einen Hand versucht, es loszuwerden, während sie mit der anderen das zu locker um den Kopf gebundene Handtuch festhält. Der Spiegel ist noch an den Rändern beschlagen, sodass es unten aussieht, als würde er ihre Brüste zensieren. Ich versuche, nicht auf das Pochen zu achten und wo es herkommt. Sie zupft weiter an deplatzierten Härchen um ihre dichten, spitzen Augenbrauen (zu konzentriert, um die Musik noch zu hören) und schmiert sich Schaum aufs Kinn und über die Oberlippe. Sie stellt sich vor, wie er ihre Wange streichelt (ich weiß nicht, wer) und gar nicht bemerkt, wie glatt ihre Haut ist (was für eine Arbeit das war), wie weich. Stellt sich vor, was er so mit seinen Händen macht (ich will nicht wissen, wer) und sie wird ein bisschen feucht (Es pocht weiter). Die Musik bricht ab, ihr Handy vibriert. Ich schaue nicht hin, ich halte die Augen geschlossen, aber sie liest die Nachricht sofort und schleudert anschließend das Handy in die Wäschetonne.
Ich taste über mein Kinn und finde ein Haar, an dem ich mehrmals feste ziehe, ohne dass es etwas bringt. Sufjan Stevens singt irgendwas darüber, warum er sich nicht in irgendeinem Holiday Inn in einer mit warmem Wasser gefüllten Badewanne die Pulsadern aufschneidet (irgendwas mit Religion und Mythologie, egal).
Sie blickt hinab auf ihre Unterarme, während sie heißes Wasser mit ihren Handflächen auffängt. Da ist immer noch ein Haar zu viel zwischen der rechten Augenbraue und dem markanten Muttermal unter ihrem Haaransatz. Langsam senkt sie den Kopf und bewegt das Gesicht auf die mit Wasser gefüllten Hände zu. Dann schließt sie die Augen (das sieht noch viel schöner aus, seit sie neulich zweieinhalb Stunden irgendwo saß und sich auf jede einzelne Wimper eine Verlängerung hat kleben lassen). Sie drückt das Gesicht in ihre Handflächen und zieht sich das Wasser durch die Nase, ihre Hände öffnen sich und sie füllt Wasser nach (ich zucke zusammen), sie zieht, bis nicht mehr nur die Nasenlöcher brennen, auch die Augen, bis es richtig wehtut, aber immer noch nicht genug.
Sekunden später geht die Türe auf. “Das Bad ist frei”, ruft sie harsch.
Ich laufe in den Flur und sie dreht ihr Gesicht von mir weg, hält sich fest an dem Handtuch, das sie sich eng um den Oberkörper gewickelt hat, stampft an mir vorbei (ich sehe, als ich den Blick senke, ein bisschen Blut auf ihren Fuß tropfen) und knallt ihre Zimmertür hinter sich zu. Mitten auf dem Badezimmerboden liegt zerknittert das Kleid, das sie sich vorhin rausgelegt hat, und ihr brombeerfarbener Spitzen-BH.
Comments