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Referenz, Haut

VON MATTHIAS KREITNER //


Bühnentext für mehrere Personen



Trennstriche deuten intendierte Betonung an. Doppelstriche markieren eine Unterbrechung, Einzelstriche im Satz eine Pause. Fettgedrucktes sprechen mehrere zeitgleich. Kursiver Text ist eine potentielle Szenenanweisung.



Mehrere betreten die Bühne. Sie bewegen sich zur Blase und zwängen sich durch einen Spalt hinein. Drinnen sehen sie sich um und setzen sich schließlich auf die Sessel, von wo aus sie beginnen, das äußere Geschehen zu beobachten und sich an dessen Imitation zu versuchen.


Warum sind wir hier? Weil ihr dort seid? Weil sie uns hier, euch dort hineingesetzt haben.



Mehr als grobe Koordinaten hat man uns auch nicht gesagt, oder? Weißt du mehr?



Nein. Und ihr vielleicht? Hat man euch gesagt, warum ihr dort seid? Nein? Dann sind wir ja in einer fast schon identen Situation, ihr Äußeren.



Ihr seid wie wir, findet ihr nicht? Ihr sitzt, wir sitzen auch. Ich, wir vermuten anhand der Bewegung eurer Brustkörbe —



Die ich nun ja schon einige Momente beobachte, schöne regelmäßige Bewegungen.



-- anhand der Bewegung eurer Brustkörbe stelle ich unseren Atemrhythmus fest, denn er ist auch eurer.



Atemrhythmus. Eure Bewegungen sind unsere Brust, unser



Rhythmus. Unser Rhythmus wurde aber gestoppt, damals, vorhin, und irgendwann hier re-animiert. Sie haben uns ausgeschaltet und hier – drinnen – wieder hochgefahren. Und jetzt sehe ich, wir, was müssen wir jetzt sehen?



Wir sehen unseren Atem und unsere Bewegungen an euch, ihr. Ihr Mimen sollt unsere Schemata sein? Wir sind hier interniert und ihr seid das Modell, ihr Angepassten! Ihr Angepassten spielt doch nur.

Sie imitieren das Glück, außen zu sein, dass sie beobachten eine Weile. Dann hören sie auf.



Ihr spielt eurer Glück doch nur! In Wahrheit, in echt, leidet ihr doch auch an uns. Und wie ihr leidet. Ihr könnt es gar nicht verbergen, so sehr ihr es auch versucht.



Hinter euren zivilisierten Gesichtern, ihr Modelle.



Uns bekommt ihr nicht weg. Wie traurig ihr schaut, wenn man nur mal genau genug hinsieht. Ihr wartet ja nur, bis wir enden und es tut uns ja auch wirklich leid, wirklich, es tut uns so leid, aber wir können uns nicht beenden, hier drinnen. Uns sind die Hände gebunden und ihr seid an unsere Existenz geknüpft. Ihr seid doch Kopien! Habt ihr eigentlich noch eigene Existenzen?



Ihr seid Gefäße, wenn wir Wasser wären. Sind wir aber nicht und auch das tut uns, also mir, wirklich, wirklich so leid.


Aber wir entschuldigen uns nicht, wir sind interniert gegen unseren Willen, denn wir hatten einen Willen, wisst ihr?



Aber nach dem Willen fragt ja soundso keiner.



Also sind wir interniert ohne unseren Willen, den haben sie uns nicht wiedergegeben, als sie uns reanimiert … haben sie ihn?



Vielleicht. Wir sind hier interniert, zu unserem eigenen Wohl, zur Gesundung und sie, also ihr, beobachtet uns, Kontrollgruppe, elendigliche!



Man hat euch an uns gekoppelt und jetzt müsst – oder macht ihr das freiwillig? – ihr an unseren Lippen und Füßen und Poren hängen, ihr, für jeden Fetzen Selbst, den ihr uns entnehmen könnt. Es tut mir so leid, wirklich. – Aber lasst uns doch ein bisschen … nur ein bisschen von uns zurück. Du – ja, du, mach doch den ersten Schritt, versuche es – bitte – einen eigenen Schritt, die anderen machen es dir bestimmt nach, deinen originalen Schritt. Ich, wir trauen es dir zu.



Du schaffst das, bestimmt! Ja!



Schau ihn dir an, wie er sich abrackert, nur weiter so!

Ich, wir drücken dir alle Daumen, noch ein Schritt und noch einer. Was…? - - Hey…!

Was steht er denn schon wieder?



Wieso stehst du? Wart ihr das? Habt ihr Normative ihn zurückbeordert? Das verstehe ich jetzt nicht, … wirklich nicht.



Ich auch nicht. Wir verstehen nicht, warum ihr ihn, euch nicht lässt. Jetzt ist alles wie vorher.



Pendel. Nungut, wir können euch nicht am Pendeln hindern, von hier auch, dämpfen können wir nicht.


Dann bleiben sie eben, wir. Kann man ja nichts machen. Und weil man, also wir, also ich, nichts machen kann, hier drinnen nichts bewegen kann, hat nur ein Wort Relevanz–-



Ach, komm, wirklich jetzt, komm mir doch jetzt mal nicht mit Relevanz! Relevant ist das hier alles nicht, wann waren die Wehwehchen und Leiden einzelner Patienten jemals relevant?



Im großen Ganzen? Relevanz ist etwas für Leute, die etwas zu managen haben, uns fehlt aber der Raum, irgendetwas mit unserer Angst zu tun, irgendetwas mit unserer Angst zu machen, außer sie zu empfinden, wir können sie nicht verräumen, wenn ich mich hier so umschaue, springt mir die Schubladenlosigkeit unserer Blase auf die Augen.



Wir haben kein Potential zum–-



Deswegen sind wir also hier, wohl.



-- zum Wegrationalisieren von unseren geteilten Menschensängsten vor denen da draußen, also euch, nicht angegriffen fühlen jetzt bitte, es ist nun mal so, wir dachten, wenn wir schon hier drinnen sein müssen – zum Gesunden, haben sie uns gesagt, irgendwann – haben wir eben gedacht, zuerst, also, haben wir eben angenommen, dass wir wenigstens unter uns bleiben. Aber jetzt ist dem nicht so und eure Unbegrenztheit ist eben angsteinflößend, da lässt sich so auf die Stelle auch nichts machen, da muss man, also wir und ihr, mit leben.


- -


Wir haben Angst vor euch. Nehmt es als ein Kompliment. Mit der Angst vor ihnen, euch, können wir uns schon arrangieren, irgendwo wird sich schon ein save haven finden, um sich davor zu verstecken, auch wenn ihr uns immer anstarrt.



Zwinkern die überhaupt?



Ihr seid ja Maschinen, ihr Nichtnieblinzler. Das ringt mir Respekt ab, für einen Moment. - Unsere Menschlichkeit ist das Problem? Einmal geblinzelt und schon wir aus- und einsortiert. Das Einzige, was uns von euch unterscheidet, ist scheinbar eure Gabe zur Selbstkontrolle, ihr berechenbaren Biomassen. Aber gut.--


6

Dafür können sie ja nichts.


-- Nein, dafür könnt ihr nichts. Auch wenn ihr euch schon ein bisschen bemühen könntet, zumindest menschlich zu wirken. Aber gut.



Aber gut. - Gut, konzentrieren wir uns lieber auf uns. Wir sind Menschen und was heißt das für uns? Sind wir damit zufrieden? Akzeptieren wir die Gesamtsituation Mensch kampflos?