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Schwebe, solang du kannst 

VON LEA KRISTIN HENKEL //

Der Himmel zeigt sich beige und grau wie Hühnerfrikassee an diesem Novembersonntag. Mein Körper will nicht hoch und zur Kaffeemaschine bewegt werden. Wie lang kann ich einfach daliegen? Und wie lange dann nochmal, bis auch wirklich jemand kommt und nach dem Rechten sieht. Aber fläze ich weiter nur so rum, lässt mich eine Stimme nicht in Ruhe, die »elender fauler Sack« wispert. Also dann: einmal aufrichten. Am Küchentisch belohne ich mich mit heißem, belebendem Koffein. Draußen hinter dem Fensterglas machen zwei Tauben Sex. Im Geturtel peitschen ihre Flügel energisch gegen Blatt und Ast. Ich denke an Gabriel.


Die Überlegung, ihm ein Video davon zu schicken, verbiete ich mir. Auf keinen Fall weiter an Gabriel denken. Was für eine theatralische Stille. Wie eine Kunstpause in einem schlechten Theaterstück. Und nach der inszenierten Stille sagt dann wer auf der Bühne: »Es war die Einsamkeit, die an ihr nagte.« Und der Saal nickt leicht erhaben, weil das drei Sekunden vorher schon selbst alle gecheckt haben. Was auch immer. Scrolle ich halte bunte Social-Media-Videos gegen die dumme Stille an. Eine makellose Blondine füllt pinke Zwiebelstückchen in Einweckgläser. Ein Kerl im Unterhemd predigte drei Dinge, an denen man beim ersten Date den gefährlichen, vermeidenden Beziehungstyp erkennen soll. Werbung für Home-SPA. Aus einer schwanweißen, stilvoll geschwungenen Badewanne steigt anmutig heißer Dampf empor. Sieht ultra schön aus. Die Augen der glänzenden Frau in der Wanne schließen sich vor lauter Genuss. Das soll anhalten. Eilig presse ich meinen Daumen gegen den Screen. Ich versetze mich rein, will auch so vom Wasser getragen werden. Alles Harte und Sperrige in mir würde von wohlig-warmer Flüssigkeit ins Softe, Gemeidige verwandelt. Ich verfüge über kein Wannenbad wie die Influencer-Madame und google daher “Therme nähe Berlin Öffentliche Verkehrsmittel”. Ich entscheide mich für eine, auf deren Webseite keine Kinder zu sehen sind und fahre dahin. 


In der kompletten Therme herrscht Textilverbot, aber schon nach einer knappen Stunde irritieren mich die etlichen Genitalien im Sichtfeld kaum noch. So entspannt bin ich schon. Hier heute hinzufahren war meine grandioseste Idee, denke ich. Ein bisschen stolz drauf, dass ich selfcare kann. Das monotone Surren und Brummen der Whirlpooldrüsen lässt keinen klaren Gedanken fasse. Herrlich! Hier werde ich relaxen, bis meine Haut von alleine anfängt, sich als aufgeweichte Masse abzupellen. Die olle Haut, die Gabriel gefühlt eben noch Zentimeter für Zentimeter abgeküsst hat. Zwei Damen steigen zu mir ins mozzarellafarbige Blubberwasser. Eine von ihnen macht »Huiuhiuhi«, weil sie beim Einstieg an eine erbarmungslose Massagedrüse gerät und sie der starke Wasserstrahl um ihre Balance bringt. Tollpatschige Whirlpool-Astronautin, schmunzel ich in Gedanken und habe sie etwas lieb. Die asiatisch anmutende Saunalandschaft ist großzügig angelegt. Vor einer der Saunahütten nimmt ein nackter Alter einen babyblauen Frotteemantel vom Holzhaken, um sich behutsam darin einzuschälen. Mit der spitzen Kapuze und seinem glühenden, roten Zinken sieht er aus wie ein märchenhafter Wicht. Durch eine Tür zum Innenbereich der Therme flanieren Nackte, und immer, wenn die Tür sich öffnet, zieht von drinnen köstlich salziger Pommes-Geruch aus dem Thermen-Bistro herüber. Dieser Ort will nichts, außer, dass man sich relaxt. 


Dieser Ort will nichts, außer einen mit diesem schönen Gefühl in der Falle halten, bis der Angreifer kommt. Ich war unachtsam und hatte vor lauter Erholung die Spielregeln der Wildnis vergessen. Eine Hyänne, die ganz entspannt am Wasserloch rastet, wird vom Löwen gerissen. Ich bin die Hyänne. Und so kapiert mein vom eintönigen Sprudel-Gedudel ganz lallig gewordene Hirn erst viel zu spät, dass es den Penis und die wurmförmige Narbe über der Leiste, die sich da anpirschen, ganz gut kennt. Ich hätte reagieren, mich umdrehen, schnurstracks über den Beckenrand klettern und zu sprinten anfangen müssen, doch Massagesauger halten mich wie feste Griffe am Grund. Drüsen-Geräusche wie ein Chor gehässiger Kinderstimmen. Ich bin ausgeliefert. Gabriel steigt ins Blubberbad. 


Gabriel ist mit einer Frau hier. Das kann nur seine Elise sein. Mit wem, außer mit seinem Intimpartner, besucht man sonst den nacktesten Ort der Welt? Ich bete selten zu Gott, aber ich bete zu Gott, dass beide gleich wieder gehen. Vielleicht wird es ihnen hier schnell zu heiß, lieber Gott? Sie ist seit einer Woche aus ihrem Erasmus-Jahr in Portugal zurück. Sie war viel zu kurz weg, wenn man mich fragt. Elise ist der Grund, warum Gabriel sich nicht in mich verlieben darf. Auf gar keinen Fall schaue ich hoch. Zähle tausende und abertausende kleine Bläschen im Sprudelschaum. In einer Blase stecken immer noch viele kleinere Bläschen und in allen spiegelt sich funkelnd das Licht. Eine Blase in einer Blase in einer Blase in… Plötzliche Stille. Alle Mechanik verfällt in promptes Schweigen und meine Sprudelblasen verpuffen ins Nichts.


Mir ist heiß wie Lava. Im spiegelglatten Wasser wird er mich erkennen. Panik 3000. Mich in all meiner Verlassen- und Nacktheit. Jetzt höre ich auch ihre Unterhaltung. Seine Elise. So klingst du also. Bisher kenne ich ja nur jedes einzelne deiner Fotos auf Instagram. »Triffst du Kai eigentlich noch außerhalb der Arbeit? Ihr habt doch eine Zeit lang Badminton gespielt. Macht ihr aber nicht mehr, oder?« »Nee, jetzt länger nicht mehr. Aber das ist eh beschissen, weil die Plätze jetzt immer super schnell ausgebucht sind, seit die bei irgendeiner Sports App dabei sind.« Ihre Stimme klingt angenehm. Eine erwachsene, richtig im Leben angekommene Stimme. Die Stimme einer Frau, die daran denkt, vor dem Einkaufen einen Jutebeutel einzustecken. Die Stimme einer Frau, die Gabriel sicher beratschert hat, dass es normal ist, dass man sich in einer Beziehung mal näher und mal distanzierter fühlt. Dass man die Beziehung deshalb aber doch nicht gleich aufgibt,  besonders, wenn man schon acht Jahre Arbeit reingesteckt hat. Dass es, wenn dieses Kribbeln abhandengekommen ist, eigentlich ein gutes Zeichen für die Liebe ist. Denn dieses Kribbeln bedeutet Panik und Unsicherheit. Sie kennt dich so lang und gut. Natürlich glaubst du ihr alles. Du bist zu Besuch nach Portugal gefahren, wie es mit Elise -bevor du und ich passiert sind- verbindlich abgesprochen war. Drei Stunden vor Abflug hast du dreimal unverbindlich Sex mit mir gemacht. Als wir danach im Flur standen, konnte ich nicht fassen, wie du unsere einzigartige Geschichte mit vier nüchternen Sätzen abrundest. Dabei guckst du so egal wie bei einem Weihnachtsgedicht, das man jedes Jahr aufs Neue aufsagen muss: »Tut mir leid, dass du jetzt so sauer und enttäuscht bist. Ich finde die Situation auch gar nicht leicht, aber ehrlicherweise habe ich dir ja von vornherein gesagt, dass ich eine Freundin habe, mit der ich eigentlich auch weiter zusammenbleiben will. Und du meintest dann ja, dass das für dich passt. Ich finde aber, das waren richtig schöne Wochen.« 


Erst als das Blasengesprudel anfängt durch die Ventile zu pumpen und das flache Wasser wieder durchwirbeln lässt wie ein Taifun, merke ich, dass mein Atem wieder in Takt gerät. Hast du mich jetzt eigentlich gesehen, Gabriel? Bestimmt. Oder nicht? Im Schock war es mir noch gelungen, mein Gesicht mit zwei, drei nassen Ponysträhen zu verdecken. Ich muss aussehen wie das Horror-Mädchen von The Ring, aber besser als gar keine Deckung. Schweigt ihr euch etwa an? Es ist zu blubberig, als dass ich eure Unterhaltung genau verstehen könnte, aber nicht mal Gemurmel dringt aus eurer Richtung. Habt ihr euch nicht mehr zu erzählen, obwohl ihr euch so lange nicht gesehen habt? »Gemeinsames Schweigen zeugt von Vertrautheit«, würde Elisa sagen. Jedenfalls kann ich Lachgeräusche sicher ausschließen. Nach meiner Bemessung könnte ich die nämlich trotz Drüsen-Lärm hören. Wie als eine der beiden Damen vorhin gequiekt hat. Also lachst du nicht.


Mir hast du mal durchs Haar gewuschelt, als wir nach dem Konzert am See lagen und prustend gesagt: »Ich kenne keine, die so schön rumblödelt wie du.« Wir hatten zwei schwimmende Schwäne beobachtet und ich übersetzte ihre gurgelnden Laute in das Gespräch zweier Börsenbroker auf dem Weg in die Mittagspause. Ich meine, dass mich noch nie jemand so verliebt angeguckt hat wie du in diesem Moment. Bestimmt habe ich dich vorher auch schon mal verliebt angeguckt. Mindestens das eine Mal vor dem Kino, als du bei der Begrüßungsumarmung neugierig mit deiner großen Nase in meinem Gesicht herumgeschnüffelt hast wie ein Trüffeldackel und wissen wolltest, ob ich Gemüsesuppe gegessen habe. Du hast mich verliebt gemacht und dafür hast du jetzt ein so schlechtes Gewissen, dass du nicht mal auf eine simple Nachricht antworten kannst. Man konnte sich nur in dich verlieben. Und du hast das überhaupt nicht verhindert. 


Dann sehe ich aus meinem obersten Augenwinkel und zwischen meinen Haaren hindurch, wie aus dem Whirlpool deine Knie auftauchen. Elise nuschelt etwas von Beeilen, Duschen, Chip abgeben. Das Chlorwasser macht platsch, platsch, platsch. Ich erblinzle, dass mir beide den Rücken zukehren und der Säule mit den Handtuchhaltern entgegenmarschieren. Es ist ein gefährliches Unterfangen, aber Hyänen sind dann doch mutige Tiere: Ich muss ein paar feuchte Ponysträhnen zur Seite schieben und erfahren, ob Elise oder ich den schöneren Po hat. 


Wenige Minuten später floate ich allein in einem Außenbecken mit 30% tragendem Salz. Meine schwebender Körper zeichnet seine ganz eigene Landschaft – mit zwei spitzen Brüste-Gipfeln, Bauch-Hügel, Knie-Bergen und Zehen-Felsen. Ein Panorama, von der Natur sorgsam hintereinandergereiht. Warum sagt man immer: schöne, unberührte Landschaft. Mit der Berührung kommt doch erst die Geschichte. Ein blinkendes Flugzeug-Licht bricht durch den grauen Herbsthimmel. Ihr schwebt da oben an der Grenze zur Stratosphäre, ich hier unten im Toten Meer-Verschnitt. Ich mache Bewegungen wie beim Schneengel, um ein bisschen in eure Richtung mitzufliegen. Wie lang kann ich hier sein? Und wie lange dann nochmal, bis auch wirklich jemand kommt und mich rausschmeißt? Irgendwann wird mich der Regionalzug abholen und zurück in die Stadt spucken. Und alles, was jetzt weich ist, wird verhärten wie gebrannter Ton. Mein Hirn wird komplexeste Fragen aufwerfen, für die es gerade noch zu dämlich-weichgespült ist. Aber bis dahin passiert hier erstmal gar nichts. Außer floaten, floaten, floaten. 

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