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Unser Keller


Im Dunklen kann mich niemand finden. Dort hause ich in meinen Ängsten mehr als sie in mir. Dort bin ich vor lauter finsteren Vermutungen geborgen. Unter der Erdoberfläche, nah an den Wurzeln des Hauses. Als wäre das ein Mittelpunkt, wie mein Bauch mir einer ist. Als würde unter dem Fundament etwas stattfinden, das keinen Ausgang finden muss. Die Liebe zu den Schatten ist, was meiner Hoffnung Mut macht. Ist dort, wo die Seele beginnt. Nie will ich über sie springen.


Dort haben wir uns insgeheim die Hände gereicht und die Zungen traumhaft ineinander verschlungen. Wir verstehen uns: im Nachtschatten gewachsen. Das Sonnenlicht verneinend schreckt uns nichts, was Lebendigkeit heißt: eine lebenslange Vorbereitung auf den Tod. Unsere Begierden gründlich unterkellert. Was unten wächst, verfehlt unsere Beachtung zunächst und schürt sie doch. Halbwelt intimer Beschau riecht nach Frauenhaarmoos und tränensattem Tang. Wir wissen es: Unsere Ahninnen sind ins Wasser gegangen, weil die Liebe zum Weiblichen verboten war. Unsere Töchter aber werden aus dem Wasser geboren. Ich zeige dir, woher sie kommen.


Noch hält die Dunkelheit dicht. Alle Krähen haben hier unten dieselbe Farbe, und wir scheiden die Nebelkrähe nicht von den anderen. Sämtlich laden wir sie zum feingefiederten Tanz. Das mit den schwarzen Katzen ist ohnehin eine Mär. Wir kommen mit oder ohne sie. Von oben hören wir Gangbarkeiten, das Schaben von Schneefellen über eine kristalline Oberfläche. Ihr Treiben entlockt uns ein frühlingshelles Lachen. Hier unten wissen wir Wärme zu halten. Bald schon geben wir sie frei. Was lange unter der Erde geborgen, wird sprießen und wird.


Sofie Morin, 10. 1. 2022



Und die Schatten


Unten ist ein Ort im hierarchischen Gefüge. Und Schatten ist, wo meine Seele beginnt. Noch trägt die Dunkelheit kein sicheres Gewand, doch wenn du unten wächst, dann bist du Wurzel für die deinen und nährst die Töchter, dass sie ihren Weg nach oben finden, denke ich mir.


Im Keller malen gestapelte Erwartungen ihre Schatten an die Wände, lagern alte Begierden, in Kisten verstaut. Heute flüstern nur noch Spinnen in den Ecken vom Träumen der Zungentiere und zartem Fingerwerk. Einmal habe ich sogar geglaubt, eine Schlange zu sehen und mich Eva genannt.


Die Krähen hacken einander kein Auge aus, sie wechseln mühelos die Ebenen und erheben ungefragt die heiseren Stimmen. Wir sind noch immer das Flüstern gewohnt, folgen einander leise auf den Treppen, weil unser Stiegenhaus zu schmal ist, um nebeneinander zu gehen. Und oben, heißt es, sei der Platz knapp für solche wie uns.


Mit dem Bohrhammer gehe ich durchs brüchige Fundament, hebe ein Loch aus, im Keller. Da hinein lege ich die alten Märchenbücher, dass niemand sie findet. Man hat uns angelogen, von klein auf. Und nun: vergesst die Prinzessinnen!


Wir können die Krähen sein, ein Schwarm aus vielen Leibern, der mehr Ähnlichkeit als Trennung kennt. Stell dir vor: Wenn der Frühling kommt, sprengen wir die Stiegenhäuser mit der Kraft vereinten Flügelschlags, und unser glockenhelles Lachen wird nicht verschämt und niedlich sein, sondern befreit.


Stephanie Mehnert, 12. 1. 2022


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