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Zeichensprache gilt nicht oder was Erwachsene nicht sagen



Fuchs und Kater

auf einem Feld

Falsches Lächeln

Lachen Katzen?


Papas Rücken

in der Dunkelheit

Er lacht nicht

Er verschwindet



Ich wache auf, als Mama ins Zimmer kommt und die Vorhänge zur Seite zieht.

“Kommt Papa heute?”, frage ich.

“Bestimmt”, sagt sie.

Das heißt auf Erwachsen, dass er nicht kommt. Habe das schon hundert Mal erlebt. Ich gebe aber nicht auf und hake nach: “Und was, wenn er nicht kommt?”

“Er wird kommen!” Ihre Stimme wird leicht ungeduldig und sie schielt zu mir rüber, um mich davon abzuhalten, weitere Fragen zu stellen. Sie hat keine Ahnung, wo er ist und wann er von dort wieder auftaucht. Also stehe ich auf, tausche Schlafanzug gegen Hose und Pulli und verkrieche mich in der Burg. Die gehört eigentlich meinem kleinen Bruder aber letztens habe ich sie besetzt, denn hier lässt es sich klasse lesen. Ich mag Pinocchio. Eine lange Nase bekommt er nur bei den Erwachsenen. Ich glaube, die wissen es halt nicht besser. Ich blättere mich auf die Insel. Da war ich schon oft mit Pinocchio und dort will ich ihn wieder treffen.



“Er war jetzt schon ganz schön lange nicht mehr da.” Ich gucke vorsichtig zu Mama hoch. Es sind mindestens fünf Wochen vergangen, glaube ich. Eigentlich soll ich nicht fragen, das weiß ich. Aber ich kann nicht ewig warten und irgendwann muss Papa schließlich mal wieder kommen. Jetzt schluckt Mama und räumt unsere Teller zusammen. Sie guckt mich nicht an und schnieft kurz. Lass sie jetzt bloß nicht weinen. Ich kann das nicht sehen und noch weniger hören. Dann weiß ich nicht, was ich machen soll und fühle mich, als hätte mich jemand ins Klo gekippt. Sie weint nicht. Zum Glück.

“Er muss grad viel arbeiten. Ich weiß, dass es nicht so toll ist und ihr ihn vermisst. Aber er grüßt euch.” Ihr Rücken hat zu mir gesprochen. Er grüßt uns!

“Das heißt, er hat angerufen?” Ich habe meine Zweifel, aber vielleicht ja doch. So lange war er noch nie weg und warum hätte er nicht anrufen sollen?

“Ja, letztens spät abends.”

Ich will ihr glauben und denke an Pinocchio. Pinocchio wollte auch immer zu seinem Vater und irgendwie kam ständig was dazwischen. Ist halt manchmal so. Ich stehe vom Tisch auf und lasse Mamas Rücken alleine. Sie ruft mich nicht zurück, um beim Abräumen zu helfen. Kein gutes Zeichen.


__


“Fühlst du dich nicht gut?” Mamas Hand liegt auf meiner Stirn und sie schaut besorgt auf mich runter. Ich nicke. Ich fühle mich schrecklich. Und ich werde nicht wieder aufstehen. Nie wieder. Ich habe einen Pakt geschlossen. Ich verlasse das Bett erst, wenn Papa vorbei kommt. Sie können machen, was sie wollen. Ich mache auch, was ich will.

“Deine Stirn ist nicht heiß. Tut dir was weh?”

Ich nicke, das ist schließlich wahr. Aber vor der nächsten Frage habe ich Angst und ich weiß dass sie kommen wird. Mama streicht mir über den Kopf. “Was tut dir denn weh?”

Ich halte mir den Bauch und kneife die Augen zusammen. Wenn ich ganz fest darüber nachdenke, tut der Bauch wirklich weh. Da ist so ein komisches Gefühl und auch in der Brust. Mamas Augen zeigen diese Mischung aus Ratlosigkeit und Sorge. Sie seufzt. “Ich mache dir einen Tee und dann sage ich Monika Bescheid. Sie soll zwischendurch mal nach dir schauen. Du musst mir versprechen, dass du in die Schule gehst, wenn du dich besser fühlst, ok? Vielleicht klappt es ja zur 3. Stunde, wenn ihr Mathe habt. Versprochen?”

Ich wackle mit dem Kopf. Mist. Habe ich das jetzt wirklich versprochen? Zählt Zeichensprache? Ich tauche ab unter die Bettdecke und suche dort mit Pinocchio im Meer nach seinem Vater. Wir finden ihn nicht.



Habe entschieden, es anders anzugehen. Wenn sie mir nicht sagt, wo Papa ist und wann er wieder kommt, rede ich nicht mehr mit ihr. Dann muss ich mir auch nichts ausdenken. Ich glaube, das ist sauberer. Aber es fühlt sich nicht besser an. Zuerst dachte Mama, es sei ein Scherz. Das konnte ich an ihrem Gesichtsausdruck sehen. Sie hatte so ein schiefes, ungläubiges Lächeln. Dachte wahrscheinlich, dass ich nicht lange durchhalte. Nach ein paar Tagen wurde sie wütend. Ihre Lippen wurden ganz schmal und ihre Augen auch. Sogar mein kleiner Bruder hat Angst bekommen und wollte, dass ich was zu ihr sage. Mit ihm rede ich. Er kann ja nichts dafür (und gar nicht mehr sprechen ist irgendwie unpraktisch). Jetzt sieht Mama oft traurig aus und sie schaut aus dem Fenster und seufzt dabei. Sie tut mir leid.


__


“Euer Vater ist bei Freunden.”

Dieser Satz kommt überraschend. Mein kleiner Bruder und ich sitzen auf dem Sofa und gucken Cartoons. Aber jetzt starren wir sie an.

“Er hatte Schwierigkeiten mit der Arbeit und jetzt ist er erst einmal bei Freunden, die ihm helfen. Deshalb kann er grad nicht kommen.”

“Hat er wieder angerufen? Wann hat er angerufen? Ich will mit ihm reden.” Das alles sprudelt aus mir heraus, als ob plötzlich jemand einen Wasserhahn aufgedreht hätte. Ich kann den Hahn nicht zudrehen.

“Er hat spät angerufen.” Sie schaut an die Zimmerdecke, dort wo der kleine Riss ist und sie hat die Arme vor dem Bauch verschränkt, also ob sie auch diese komischen Bauchschmerzen hätte. “Er kann jetzt erst einmal eine Weile nicht kommen.” Sie setzt sie sich zu uns aufs Sofa und will meine Hand nehmen. Ich ziehe sie weg. Ich will Antworten.

“Aber wie lange ist noch ‘eine Weile’? Er ist schon Ewigkeiten nicht mehr da gewesen. Dauert es noch mal genau so lange?”

“Ich weiß es nicht.”

Was soll ich denn darauf sagen? Worüber reden die beiden am Telefon? Und warum ruft Papa immer nur abends an? Will er gar nicht mit uns sprechen? Da piepst mein kleiner Bruder: “Das ist doof. Papa soll hierher kommen.” Dabei hält er seinen Plüschpinguin im Arm und guckt wütend. Mehr habe ich nicht hinzuzufügen. Mama nickt und schiebt ihre Unterlippe vor. “Ich weiß. Es ist wirklich doof. Und es tut mir leid.”


Am selben Abend frage ich Mama eine wichtige Frage, die schon lange in meinem Kopf hin und her springt. “Hast du Papa noch lieb?”

Sie schüttelt schnell den Kopf. Das glaube ich ihr nicht, weil ihre Augen ganz groß dabei werden. Aber vielleicht gilt ja Zeichensprache wirklich nicht. Ich gehe schlafen.



Tief in der See

Bezahnte Dunkelheit

ein Lügenmaul

verschlingt mich

Mittendrin

Papas Jacke

und sein Schuh


Kommst du zurück?

Frage ich ihn

Verschränkte Arme

ein wackelnder Zeh


Sehr bald!

Sagt er

Und wir schwimmen kleine Runden

im Haifischbauch




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